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Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften

BFH nimmt zu Bagatellgrenzen und Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung Stellung

I. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG gilt als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausübt (sog. Seitwärtsinfektion) oder gewerbliche Einkünfte iSd. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG bezieht (sog. Aufwärtsinfektion).

II. Während Einzelpersonen grundsätzlich mehrere Einkunftsarten nebeneinander verwirklichen können, schränkt § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG dies für Personengesellschaften ein. Die Regelung bewirkt, dass bei einer Personengesellschaft, die mehrere Einkunftsarten hat, die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit in vollem Umfang als Gewerbetrieb gilt, wenn die Gesellschaft auch eine gewerbliche Tätigkeit ausübt oder gewerbliche Einkünfte aus einer Beteiligung bezieht (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG). Die Rechtsfolgen können dramatisch sein: Die (Um-)Qualifizierung sämtlicher Einkünfte als gewerbliche Einkünfte hat im Grundsatz zur Folge, dass sämtliche Einkünfte der Personengesellschaft der Gewerbesteuer unterliegen (§ 2 Abs. 1 GewStG).

III. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG führt damit zu einer Ungleichbehandlung von Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmern. Das BVerfG (vom 15.1.2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1) sah die Norm in ihrer Fassung der Bekanntmachung vom 27.2.1987 gleichwohl als verfassungskonform an. Dies begründete es ua. mit der restriktiven Anwendung der Vorschrift durch den BFH.

IV. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH scheidet die Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auf freiberufliche Personengesellschaften aus, wenn die Nettoumsatzerlöse aus der (originär) gewerblichen Tätigkeit der (gemischt tätigen) Personengesellschaft 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse (relative Bagatellgrenze) und den Betrag von € 24.500,-- (absolute Bagatellgrenze) nicht übersteigen (vgl. BFH vom 27.8.2014 VIII R 16/11, BStBl. II 2015, 996; ausführlich zur Entwicklung der Bagatellgrenze STENERT/GRAVENHORST, DStR 2020, 2505 (2507)).

V. Diese restriktive Linie hatte der IV. Senat des BFH mit seiner Entscheidung vom 12.4.2018 (IV R 5/15, BStBl. II 2020, 118) fortgesetzt. Eine Abfärbung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in der vor dem JStG 2019 geltenden Fassung schied nach Auffassung des IV. Senats aus, wenn die Personengesellschaft ausschließlich negative gewerbliche Einkünfte erzielt. 

VI. Auf diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit dem JStG 2019 (BGBl. I 2019, 2451 (2453)) reagiert. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG wurde um einen Satz 2 ergänzt. Danach gelten die oben genannten Grundsätze der Abfärbung unabhängig davon, ob aus der Tätigkeit iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ein Gewinn oder Verlust erzielt wird. Die Änderung gilt nicht nur für Veranlagungszeitäume ab 2019, sondern nach § 52 Abs. 23 Satz 1 EStG auch rückwirkend. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Rechtsprechung des IV. Senats (hierzu oben unter V.) damit überholt und selbst für vor Erlass des JStG liegende Veranlagungszeiträume nicht mehr anzuwenden.

VII. Mit seiner am 27.10.2022 veröffentlichten Entscheidung (Az. IV R 42/19) hat der BFH die oben genannte Rechtsprechung (BFH vom 12.4.2018 IV R 5/15, BStBl. II 2020, 118) aufgegeben. Gegenstand der Entscheidung war die Abfärbung bei einer ansonsten vermögensverwaltenden Personengesellschaft (einer GbR). Der IV. Senat stellt nun Folgendes klar: 

  1. Verluste aus einer gewerblichen Tätigkeit stehen bei Überschreiten der sog. Bagatellgrenzen der Umqualifizierung der im Übrigen vermögensverwaltenden Tätigkeit einer GbR nicht entgegen.
  2. Die Bagatellgrenzen sind auch nach der Neuregelung zu beachten. 
  3. Für gemischt tätige vermögensverwaltende Personengesellschaften gelten die gleichen Bagatellgrenzen wie für gemischt tätige freiberufliche Personengesellschaften. 
  4. Maßgeblicher Beobachtungszeitraum ist der jeweilige Veranlagungszeitraum und kein mehrjähriger Zeitraum.
  5. Die Änderung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG im JStG 2019 sowie seine rückwirkende Anwendung sind verfassungsgemäß.

VIII. Praxishinweis: Der sicherste Weg, um eine Abfärbung zu vermeiden, ist die Auslagerung der gewerblichen Tätigkeit in eine weitere Personengesellschaft. Eine (seitwärts) abfärbende Wirkung einer bestimmten originär gewerblichen Tätigkeit kann – auch nach der Neuregelung – nicht eintreten, wenn diese gewerbliche Tätigkeit in einer eigenen zweiten (ggf. auch beteiligungsidentischen Schwester-)Personengesellschaft ausgeübt wird (sog. Ausgliederungsmodell; BFH vom 19.2.1998 IV R 11/97, BStBl. II 1998, 603). Jede Personengesellschaft übt als eigenständiges Einkünfteerzielungssubjekt eine auch eigenständig zu qualifizierende Tätigkeit aus. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Vermögen einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft gleichwohl (Sonder-) Betriebsvermögen einer anderen Mitunternehmerschaft oder eines Einzelunternehmens darstellen kann. Ferner ist darauf zu achten, dass nicht versehentlich Betriebsaufspaltungen begründet werden.

 

Dr. Torben Gravenhorst
Rechtsanwalt
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Dr. Jens Stenert
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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