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Zehnt – der Steuerblog
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Klarheit beim 90 %-Einstiegstest im Erbschaftsteuerrecht?
Der BFH lässt sich zu § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ein
Gemäß § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG scheidet die Möglichkeit einer erb-/schenkungsteuerlichen Begünstigung betrieblichen Vermögens dann aus, wenn der im Unternehmen vorhandene Bestand an Zahlungsmitteln, Guthaben und Forderungen (sog. Finanzmittel) 90 % seines Werts übersteigt. Hierbei sollen Schulden, die diesen Finanzmitteln gegenüberstehen, nicht berücksichtigt werden. In der Praxis führt die Norm zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen (zu den verfassungsrechtlichen Zweifeln vgl. bereits Newsbeitrag - Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des „neuen“ Erbschaftsteuergesetzes. Der BFH zeigt mit seinem Urteil vom 13.9.2023 (II R 49/21) zumindest für einige dieser Problemfälle eine Lösung auf.
Sachverhalt
In der Entscheidung ging es um die Schenkung eines 100 %igen GmbH-Anteils mit einem Wert von ca. € 550.000,--. In der GmbH waren Finanzmittel iHv. € 2,5 Mio. und Schulden iHv. ca. € 3,2 Mio. vorhanden. Das Finanzamt lehnte eine Begünstigung der Schenkung nach §§ 13a, 13b ErbStG ab, da der Wert der Finanzmittel vor Abzug der Schulden 90 % des gemeinen Werts des GmbH-Anteils überstieg.
Die Klage vor dem FG Münster hatte Erfolg. Mit Urteil vom 24.11.2021 (3 K 2174/19 Erb, EFG 2022, 343) erklärte es den 90 %-Einstiegstest im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dann für nicht anwendbar, wenn die übertragene Kapitalgesellschaft – wie im Streitfall – ihrem Hauptzweck nach einer originär gewerblichen, selbständigen oder land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht (vgl. dazu Newsbeitrag - Der Einstiegstest nach §13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG – Verfassungswidrigkeit oder teleologische Reduktion?. Hiergegen wendete sich die Revision des Finanzamts.
Entscheidung des BFH
Im konkreten Fall gab der BFH dem FG Münster Recht. Allerdings scheint der BFH dem 90%-Test einen deutlich weiteren Anwendungsbereich geben zu wollen. In seinen Entscheidungsgründen stellt er klar, dass der 90 %-Einstiegstest unabhängig von der Tätigkeit des Unternehmens Anwendung findet. Allerdings seien bei Handelsunternehmen betrieblich veranlasste Schulden iRv. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG von den Finanzmitteln abzuziehen. Der II. Senat sieht dies zwar im Wortlaut der Norm nicht angelegt, leitet seine Entscheidung aber in einer „erweiternden Auslegung“ aus systematischen, teleologischen, historischen und verfassungsrechtlichen Erwägungen her.
Stellungnahme
Im Ergebnis ist die Entscheidung des BFH zwar zu begrüßen. Ob der Wortlaut der Norm das vom BFH gefundene Ergebnis zulässt, ist jedoch zweifelhaft. UE ist die Norm verfassungswidrig (vgl. dazu Newsbeitrag - Der Einstiegstest nach §13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG – Verfassungswidrigkeit oder teleologische Reduktion?).
Indem der BFH die Norm einschränkend auslegt, zeigt er zwar im konkreten Streitfall zugunsten des Steuerpflichtigen eine akzeptable Lösung auf. Die Begründung des BFH lässt für den Praktiker aber wichtige Fragen offen. So ist unklar, ob die Schuldenverrechnungsmöglichkeit nur auf „typische Handelsunternehmen“ beschränkt ist oder auch anderen, insb. „atypischen Handelsunternehmen“ offensteht. Weiterhin verweist der II. Senat in seiner Begründung mehrfach auf die Unplanbarkeit der Finanzmittelhöhe am Stichtag in Unternehmen mit hohen Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, sodass sich die Frage stellt, ob diese Unplanbarkeit in jedem Einzelfall zu prüfen ist.
Nicht geklärt ist ferner, unter welchen Voraussetzungen bei sonstigen originär gewerblich tätigen, selbständigen oder land- und fortwirtschaftlichen Betrieben eine einschränkende Auslegung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG in Betracht kommt.
In Gestaltungsfällen ist der 90 %-Einstiegstest deshalb weiterhin mit Vorsicht zu genießen, wenn der konkrete Unternehmenscharakter nicht dem des Urteilssachverhalts entspricht. Insoweit bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung reagieren wird. Für Streitfälle gibt die Entscheidung Rückenwind und hält in seinen Gründen eine Vielzahl an Argumentationsansätzen bereit.