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Der Einstiegstest nach §13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG –  Verfassungswidrigkeit oder teleologische Reduktion?

I.     Anwendung und Folgen des Einstiegstests iSd. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG

Nach dem Gesetzeswortlaut kommt eine Verschonung von Unternehmensvermögen nach § 13a ff., §§ 28, 28a ErbStG nicht in Betracht, wenn das Verwaltungsvermögen mindestens 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt. Eine Begünstigung dieses Vermögens entfällt dann vollständig (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG).

Zu beachten ist, dass bei der Berechnung der 90 %-Grenze ein modifizierter Verwaltungsvermögensbegriff gilt. Insbesondere können von den Finanzmitteln danach weder Schulden noch der 15 %ige Sockelbetrag abgezogen werden. Auch ein Abzug verrechenbarer Schulden (§ 13 Abs. 6 ErbStG) wird nicht durchgeführt, und das unschädliche Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 7 ErbStG) wird nicht berücksichtigt. 

Dies führt dazu, dass auch solche wirtschaftlichen Einheiten nicht privilegiert sind, die ausschließlich über begünstigtes Vermögen verfügen (OLBING/STENERT, FR 2017, 701). Besonders Handels- und Dienstleistungsunternehmen, die gewöhnlich einen hohen Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen haben, bestehen den Einstiegstest daher häufig nicht (vgl. FG Münster vom 24.11.2021 3 K 2174/19 Erb, ZEV 2022, 110).

II.     Entscheidung des FG Münster

Ein solcher Fall lag dem FG Münster vor (FG Münster vom 24.11.2021 3 K 2174/19 Erb, ZEV 2022, 110). Obwohl das Verwaltungsvermögen mit einem Wert von € 0,-- festgestellt wurde, versagte das Finanzamt die Verschonung nach § 13a ErbStG, da die 90 %-Grenze des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG erreicht wurde.

Im vorangegangenen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung hatte das FG Münster zunächst ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Einstiegstests geäußert. Ob diesen Zweifeln durch eine teleologische Reduktion der Norm begegnet werden könnte, lies das FG damals offen (FG Münster vom 3.6.2019 3 V 3697/18 Erb, ZEV 2019, 551). 

In dem jetzt ergangenen Urteil spricht sich das FG für eine teleologische Reduktion aus. Gesellschaften, die in der Hauptsache land- und forstwirtschaftlich, freiberuflich oder originär gewerblich tätig sind, sollen entgegen dem Wortlaut des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht in dessen Anwendungsbereich fallen (FG Münster vom 24.11.2021 3 K 2174/19 Erb, ZEV 2022, 110). In seiner Begründung betont das FG den Charakter des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG als „Missbrauchsvermeidungstatbestand“. Die Norm solle verhindern, dass bei einer Begünstigung von Gesellschaften mit überwiegendem Anteil an Verwaltungsvermögen aufgrund einer geringfügigen betrieblichen Tätigkeit hohe Werte an Verwaltungsvermögen mit Steuervergünstigungen übertragen werden können. An diesen missbräuchlichen Umständen fehle es, wenn der Hauptzweck der Gesellschaften einer Tätigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG dient. Ohne eine solche teleologische Reduktion seien betroffene Unternehmen zu betriebswirtschaftlich nicht sinnvollen Maßnahmen, wie zum Beispiel der Tilgung von Verbindlichkeiten vor dem Übertragungsstichtag, Entnahmen von Finanzmitteln oder der Veräußerung von sonstigem Verwaltungsvermögen (vgl. GLATZ/MELZER, NWB 2020, 998), gezwungen, um unter die 90 %-Grenze zu gelangen.

III.    Stellungnahme

Die Einschränkung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ist aus Beratersicht zwar zu begrüßen. Sie geht jedoch nicht weit genug. UE ist die Norm verfassungswidrig. Einen sinnvollen Anwendungsbereich erfährt die Norm selbst dann nicht, wenn man sie im Sinne des FG Münter teleologisch reduziert. 

Im Rahmen des Verwaltungsvermögenstests des § 13b ErbStG wird schädliches Verwaltungsvermögen von begünstigtem Vermögen getrennt. Nur Letzteres ist begünstigt. Macht das schädliche Verwaltungsvermögen 90 % aus, leuchtet nicht ein, warum die verbleibenden (eigentlich begünstigten) 10 % nicht verschont werden sollten. 

Zwar kann nach § 13b Abs.7 ErbStG ein Teil des Verwaltungsvermögens in unschädliches Verwaltungsvermögen umqualifiziert werden. Der Nettowert des Verwaltungsvermögens wird danach wie begünstigtes Vermögen behandelt, soweit er 10 % des um den Nettowert des Verwaltungsvermögens gekürzten gemeinen Werts des Betriebsvermögens nicht übersteigt. Zu einer solchen Umqualifizierung käme es jedoch in gleicher Weise, wenn sich im Betriebsvermögen nicht zu 90 %, sondern in erheblich geringerem Umfang Verwaltungsvermögen befände. 

Beispiel: A verschenkt Anteile an einer GmbH mit einem gemeinen Wert iHv. € 110.000,-- und darüber hinaus € 890.000,-- in bar an seine Tochter T. Das Vermögen der GmbH setzt sich aus Finanzmitteln in Höhe von € 10.000,-- und einem ungenutzten Grundstück iHv. € 100.000,-- zusammen. Die Finanzmittel werden nach § 13b Abs. 7 ErbStG vollständig in unschädliches Verwaltungsvermögen umqualifiziert. Das gesamte Vermögen der GmbH ist mithin begünstigt. Sogar die Vollverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG ist möglich (Verwaltungsvermögensquote 9 %). Voll versteuern muss T nur die € 890.000,--.

Abwandlung: Die GmbH-Anteile haben einen gemeinen Wert von € 1 Mio. Das Vermögen besteht aus Finanzmitteln im Wert von € 900.000,-- und einem ungenutzten Grundstück im Wert von € 100.000,--. Ohne § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG würden nach § 13b Abs.7 ErbStG die Finanzmittel iHv. € 10.000,-- in unschädliches Verwaltungsvermögen umqualifiziert. Im Ergebnis würden mithin € 110.000,-- begünstigtes Vermögen übertragen. Eine Vollverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG wäre jedoch nicht möglich (Verwaltungsvermögensquote 90 %). Ferner sind Finanzmittel iHv. € 890.000,-- als schädliches Verwaltungsvermögen voll zu versteuern.

Nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG wären – selbst unter Berücksichtigung der teleologischen Reduktion des FG Münster – in der Abwandlung die GmbH-Anteile im Wert von € 1 Mio. voll zu versteuern. Der Erwerber würde nicht nur mit der Versagung der Vollverschonung bestraft. Ihm würde jegliche Form der Begünstigung versagt. Eine Rechtfertigung dafür ist nicht ersichtlich.

Valentina Prusnat
Valentina Prusnat
Juristische Mitarbeiterin
Dr. Jens Stenert
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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