Zehnt – der Steuerblog

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BFH bestätigt Verfassungs- und unionsrechtliche Zweifel an der Hinzurechnungsbesteuerung

Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt, die einer niedrigen Besteuerung unterliegt, werden die Einkünfte der Kapitalgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen den unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach den §§ 7 ff. AStG zugerechnet. Eine niedrige Besteuerung liegt nach § 8 Abs. 5 AStG vor, wenn die ausländische Ertragsteuerbelastung der Gesellschaft weniger als 25 % beträgt.

Der hoch bemessene Prozentsatz (25 %) weckt verfassungs- und europarechtliche Bedenken, da die Ertragsteuerbelastung auch im Inland unter 25 %, nämlich bei 22,825 %, liegen kann (15 % Körperschaftsteuer, 0,825 % Solidaritätszuschlag, 7 % Gewerbesteuer beim „Mindesthebesatz“ von 200 %). Diese Bedenken hat der BFH in seinem am 19.10.2023 veröffentlichten Beschluss nun bestätigt (I B 11/22 (AdV)): „Die in der Literatur formulierten Zweifel sind allerdings gewichtig, da sich eine Niedrigsteuerschwelle […] offenkundig nicht mehr mit der "Erzielung ungerechtfertigte[r] Steuervorteile" durch das Fehlen einer "ausgleichende[n] Auslandsbesteuerung" (Begründung des Gesetzentwurfs zum Außensteuergesetz 1972, BTDrucks VI/2883, S. 26 f.) oder der Sicherstellung einer "notwendige[n] Vorbelastung niedrig besteuerte[r] Gewinn[e] ausländischer Gesellschaften" nach dem Systemwechsel zum Halb-/Teileinkünfteverfahren durch das sogenannte Steuersenkungsgesetz (BTDrucks 14/2683, S. 133) sachlich rechtfertigen lässt.“

Gleichwohl blieb die Beschwerde des Steuerpflichtigen ohne Erfolg, da die tatsächliche Besteuerung im Ausland 0 % betrug. Der BFH verweist darauf, dass selbst wenn der Gesetzgeber die Höhe der niedrigen Besteuerung auf ein zulässiges Niveau unterhalb der minimalen inländischen Belastung absenken würde, der Steuerpflichge davon nicht profitieren dürfte. Dem Senat erscheine es als ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber die Hinzurechnungsbesteuerung – zur Beseitigung der Bedenken – abschaffen könnte. 

Rechtlich überzeugt dieser Einwand nicht. Im Ergebnis liegt dieser Betrachtungsweise eine telelogische Reduktion des Begriffs der Niedrigbesteuerung auf ein verfassungs- und europarechtlich zulässiges, niedrigeres Steuersatzniveau zugrunde. Verstößt eine Gesetzesregelung gegen Verfassungs- oder Europarecht, ist sie uE – entgegen der Gerichtspraxis – nicht auf ein verfassungs- bzw. europarechtskonformes Maß zu reduzieren. Die Regelung ist nichtig bzw. nicht anwendbar und darf konsequent auch bei einer Nullbesteuerung im Ausland nicht eingreifen. Wird dagegen eine teleologische Reduktion zugelassen, fehlen dem Gesetzgeber Anreize dafür, von vornherein verfassungs- und europarechtskonforme Gesetze zu schaffen. Ungeachtet dieser Bedenken kommt dem Beschluss – für Fälle einer ausländischen Steuerbelastung oberhalb von Null – hohe Praxisrelevanz zu. 
 

Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Eugen Mehlhaf
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
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