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Verfassungsgemäße Doppelbelastung bei Vor- und Nacherbschaft und Stellung des Testamentsvollstreckers
I. Vor- und Nacherbschaft ist ein beliebtes Mittel in der Testamentsgestaltung. Hierdurch kann sichergestellt werden, dass vererbtes Vermögen an Dritte (zB die Enkel) weitervererbt wird (instruktiv OLBING, ErbR 2023, 204). Der Vorerbe hat den Bestand des Erbes grundsätzlich zu erhalten. Insoweit unterliegt er zivilrechtlich verschiedenen Beschränkungen. Gleichwohl stehen ihm die Erträge aus der Erbschaft zu (REINMANN/STRACKE in Reimann/ Bengel/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, 6. Aufl., 2015, Syst. A Rz. 318).
II. Allerdings sind mit der Vor- und Nacherbschaft im Vergleich zu einem unmittelbaren Erwerb des Nacherben vom Erblasser erbschaftsteuerliche Nachteile verbunden (hierzu LÖCHERBACH in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 6. Aufl., 2020, § 6 Rz. 7). Wird das Vermögen dem „Nacherben“ direkt vom Erblasser zugewendet, liegt nur ein steuerpflichtiger Erwerb vor. Bei der Vor- und Nacherbschaft liegt sowohl bei der Vor- als auch bei der Nacherbschaft ein selbständig steuerbarer Erwerb vor (§ 6 ErbStG). Damit wird der Nachlass zweimal mit Erbschaftsteuer belastet. Im Nacherbfall fingiert § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Dies weicht von den Grundsätzen des Zivilrechts ab. Zivilrechtlich erben der Vorerbe und der Nacherbe zwar (auch) nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser.
III. Die Beschränkung des Vorerben durch das Nacherbrecht kann nicht als Last abgezogen werden, sie reduziert die Erbschafsteuer nicht (BFH vom 17.9.1997 II R 8/96, ZEV 1998, 195). Im wirtschaftlichen Ergebnis ist zudem nicht der Vorerbe, sondern der Nacherbe der Träger der Steuerlast; der Vorerbe hat die Steuer aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten (§ 20 Abs. 4 ErbStG iVm. § 2126 BGB). Der Vorschrift kommt zivilrechtliche Bedeutung zu. Sie gewährleistet, dass die Erbschaftsteuer als außergewöhnliche Last gilt und damit vom Vorerben aus dem Nachlass entnommen werden darf (hierzu HANNES/HOLTZ in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Aufl., 2021, § 6 Rz. 35; LIEDER in MüKoBGB, 9. Aufl., 2022, § 2100 Rz. 84). Dies gilt auch für Ertragsteuern, die bei der Veräußerung einzelner Nachlassgegenstände entstehen (vgl. BGH vom 10.7.1980 IV ZR 20/80, NJW 1980, 2465).
IV. Der BFH hat in seiner am 20.7.2023 veröffentlichten Entscheidung vom 28.6.2023 (II B 79/22) klargestellt, dass eine Besteuerung sowohl des Vor- als auch des Nacherben verfassungsgemäß ist. Die Abweichung vom Zivilrecht ist zulässig. Sie entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Insofern enthält die Entscheidung nichts Neues. Die Verfassungsmäßigkeit des § 6 ErbStG ist grundsätzlich anerkannt (statt vieler GOTTSCHALK Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 6 Rz. 12.4 (Feb. 2023)).
V. Hinweis: Das Erbschaftsteuerrecht bietet verschiedene Möglichkeiten, die vorgenannten steuerlichen Folgen zu reduzieren. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Nacherbfalls. Tritt der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben ein, kann auf Antrag das Verwandtschaftsverhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde gelegt werden (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Der Antrag wirkt sich auf die Steuerklasse und damit auf den anzuwendenden Freibetrag (§ 16 ErbStG) und den Steuersatz (§ 19 ErbStG) aus (OLBING, ErbR 2023, 204 (205 f.)).
Tritt der Nacherbfall vor dem Tod des Vorerben ein, ist für die Besteuerung das Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen, eines Antrags bedarf es nicht (BFH vom 10.5.1972 II 78/64, BStBl. II 1972, 765). In diesem Fall kann der Nacherbe die vom Vorerben entrichtete Steuer in Abzug bringen (§ 6 Abs. 3 Satz 2 ErbStG). Die Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer tritt nicht ein. Hieraus folgt das Gebot, stets zu überlegen, ob der Eintritt des Nacherbfalls an einen anderen Umstand als an den Tod des Vorerben geknüpft werden kann. Ein solcher Umstand könnte zB die Ablegung eines Examens durch den Nacherben sein oder das Erreichen einer bestimmten Summe von Nutzungen durch den Vorerben (zB Erreichen eines bestimmten Ausschüttungsvolumens einer GmbH-Beteiligung), die dessen Versorgungsbedürfnis für den Rest seines Lebens befriedigen (OLBING, ErbR 2023, 204 (207)).
VI. Ferner hat der BFH in seinem Beschluss vom 28.6.2023 die prozessuale Stellung des Testamentsvollstreckers konkretisiert. Den Testamentsvollstrecker treffen erbschaftsteuerlich verschiedene Pflichten (ausführlich KAMPS, ErbR 2022, 24). Er ist ua. Vermögensverwalter iSd. § 34 Abs. 3 AO und haftet damit persönlich für die Erbschaftsteuer (§ 69 AO) (BFH vom 18.6.1986 II R 38/84, BStBl. II 1986, 704). Diese Haftung begründet jedoch, so der BFH, keine Pflicht, den Testamentsvollstrecker zum Erbschaftsteuerverfahren der Erben notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 Satz 1 FGO).
Das Institut der notwendigen Beiladung dient dem Schutz der Interessen des Beigeladenen (LEVEDAG in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 60 Rz. 2). Diese sind zwar formal in einem etwaigen Haftungsverfahren ausreichend geschützt: Der Testamentsvollstrecker ist in einem etwaigen Haftungsverfahren nicht an die Ergebnisse des Besteuerungsverfahrens gebunden. Vielmehr wird im Haftungsverfahren gesondert geprüft, ob die Erbschaftsteuerschuld dem Grunde und der Höhe nach besteht (vgl. BFH vom 4.11.2009 X B 117/09, BFH/NV 2010, 229). Der Testamentsvollstrecker kann sich somit gegen die Primärschuld zur Wehr setzten. Faktisch ist dies allerdings mit höheren Hürden verbunden, sollte ein Finanzgericht die Primärschuld im Besteuerungsverfahren rechtskräftig bestätigen. Wir empfehlen daher, in der Praxis auf eine einfache Beiladung (§ 60 Abs. 1 AO) zu drängen. Der Testamentsvollstrecker kann sodann als Beigeladener selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen, soweit er sich innerhalb der Anträge des Klägers bewegt (§ 60 Abs. 6 FGO).