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Projekt „Grunderwerbsteuer“ – gebündelte Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung zu Grunderwerbsteuerfällen

Die „Analyseeinheit für risikoorientierte Ermittlungen im Bereich der Steueraufsicht“ bei dem Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Hagen (ARES NRW) führt im Rahmen eines Projekts mit der Bezeichnung „Grunderwerbsteuer“ Auswertungen zu bislang nicht angezeigten grunderwerbsteuerlichen Sachverhalten durch. Ermittlungsverfahren sind bereits hieraus eingeleitet worden. Im Fokus stehen mehrstöckige Beteiligungsstrukturen im Zusammenhang mit inländischen Immobilienvermögen, wie sie auch Gegenstand des jüngst veröffentlichten gleich lautenden Erlasses der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16.10.2023 sind. Es wird geraten, Gesellschaftsstrukturen auf mögliche Grunderwerbsteuersachverhalte zu prüfen. 

I. Hintergrund
Die Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (STRAFA-FÄ) in NRW bilden seit langem ressortübergreifende Sondereinheiten, die auf unterschiedliche Aufklärung und Ermittlung von Steuerstraftaten spezialisiert sind. Neben der Zentralstelle zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung (ZEUS) und der „Task Force zur Bekämpfung von Finanzquellen organisierter Kriminalität und Terrorismus“ bildet die Analyseeinheit für risikoorientierte Ermittlungen im Bereich der Steueraufsicht (ARES) eine Schwerpunkteinheit, die oftmals im Grenzbereich zwischen Vorfeldermittlungen im Besteuerungsverfahren und eingeleiteten Strafverfahren zur Aufklärung unbekannter Steuerfälle tätig wird (§ 208 Abs. 1 AO). Bei ARES laufen verschiedenste Informationskanäle zusammen, die innerhalb der Finanzverwaltung über § 88b AO ausgetauscht werden. Die Ankündigung der Finanzverwaltung NRW ein übergeordnetes Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität einzurichten (Pressemitteilung vom 23.3.2023), unter dem auch ARES koordiniert werden soll, dürfte die Bedeutung gleichgelagerter Ermittlungsmaßnahmen nochmals erhöhen

Rechtliche Grundlage bildet hierbei § 88b AO iVm. § 31 FA-ZVO NRW. Nach § 88b AO werden zwischen den Landesfinanzämtern sowie mit dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) Informationen durch automatisierte Datenabrufe geteilt und ausgewertet (vgl. Peters/Odinius AO-StB 2021, 124). Insbesondere durch die Einbindung des BZSt gelangen große Datenmengen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Sachverhalten zur Auswertung an ARES. Häufig werden Erkenntnisse aus Anfragen im Rahmen von Amtshilfeersuchen sowie durch den Abruf von Datenbanken innerhalb der EU zusammengeführt. 

II. Auswertungen zu bislang unbekannten Grunderwerbsteuerfällen
Innerhalb der Einheit ARES werden derzeit systematisch Informationen nach möglichen Grunderwerbsteuerfällen ausgewertet. In den Fokus geraten hierbei u.a. mehrstöckige Gesellschaftsstrukturen – ggf. mit Auslandsbezug –, die an Gesellschaften mit Immobilienvermögen beteiligt sind. Hierbei können Übertragungen von Anteilen oder Verschmelzungen von Beteiligungsgesellschaften mögliche Grunderwerbsteuertatbestände – etwa iSd. § 1 Abs. 2a, 2b, 3 und 3a GrEStG – verwirklichen. Besondere Brisanz kommt dem Thema im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen im Grunderwerbsteuerrecht bei. Der jüngst veröffentlichte gleich lautende Ländererlass vom 16.10.2023 (S - 4501) zur „Zurechnung von Grundstücken für die Ergänzungstatbestände in § 1 Absatz 2a bis 3a des Grunderwerbsteuergesetzes“ als Reaktion auf die Entwicklung der Rechtsprechung verdeutlicht das derzeitige Risiko von möglichen Grunderwerbsteuerfällen, etwa im Rahmen von Share Deals. Vor diesem Hintergrund steigt nicht nur das Risiko – ohne Kenntnis – Grunderwerbsteuer durch einen Anteilskauf bzw. Anteilsübertragung auszulösen, sondern sich einem Steuerstrafverfahren ausgesetzt zu sehen. 

ARES wertet u.a. Informationen zu Anteilsverkäufen im Zusammenhang mit unmittelbar oder mittelbar Beteiligten an grundbesitzenden Gesellschaften aus und führt Vorfeldermittlungen durch (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO). In diesem Zusammenhang werden systematisch Daten zu M&A Deals der letzten Jahre ausgewertet und auf ihre grunderwerbsteuerliche Auswirkung von ARES gewürdigt. Hierbei werden oftmals Gesellschaften zur Auskunft aufgefordert. In diesen Fällen sollte schnellstmöglich geprüft werden, ob eine Anzeigepflicht nach § 19 GrEStG vorliegt oder eine Berichtigung gem. § 153 AO in Betracht kommt. Liegt dem Verdacht ein Strafvorwurf zugrunde, ist zu prüfen, ob eine strafbefreiende Selbstanzeige noch möglich ist oder durch die Vorfeldermittlung bereits der Sperrgrund der Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) vorliegt – dann ist meistens auch eine Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nicht weit (mit entsprechender Sperrwirkung einer Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1 b) AO).

Beraterhinweis: Bei Änderungen von Beteiligungsverhältnissen sind stets auch grunderwerbsteuerliche Auswirkungen zu prüfen. Eine Gesellschaftsstruktur mit ausländischen Holdingstrukturen schützt nicht vor Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren. Hierbei ist zu beachten, dass die Ermittlungsbehörden oftmals Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 30 OWiG ggf. iVm. § 130 OWiG) im Zusammenhang mit den Hinterziehungsvorwürfen gegen die Gesellschaften selbst einleiten. Falls nicht schon geschehen, sollten Erwerbsvorgänge von Beteiligungen auf eine grunderwerbsteuerliche Relevanz überprüft und für die Zukunft entsprechende Compliance-Maßnahmen getroffen werden.

Dr. Markus Wollweber
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Carsten Odinius
Rechtsanwalt
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