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BFH nimmt Abstand von strenger Rechtsprechung zum beSt

Der BFH hatte in mehreren Entscheidungen eine sehr strikte Auffassung zur Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs (beSt) vertreten. Insbesondere mit den Beschlüssen vom 28.4.2023 XI B 101/22 und vom 11.8.2023 VI B 74/22 hatte der BFH im Ergebnis eine zwingende Nutzung des beSt bereits ab dem 1.1.2023 postuliert (vgl. dazu Wulf/Vitale, Newsletter vom 30.6.2023 und Ruske, Newsletter vom 7.9.2023). 

Nunmehr hat der BFH mit dem aktuellen Beschluss vom 17.4.2024 an dieser Rechtsprechung erhebliche Zweifel geäußert. 

 

I. Ausgangslage 

Durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl. I 2013, 3786) wurde in § 52d FGO mit Wirkung zum 1.1.2022 eine Nutzungspflicht der elektronischen Gerichtskommunikation unter anderem für Rechtsanwälte und Behörden eingeführt. Für andere vertretungsberechtigte Personen, also insbesondere Steuerberater, gilt dies jedoch nach § 52d Satz 2 FGO erst, wenn ein sicherer Übermittlungsweg „zur Verfügung steht“.

Gemäß § 86d Abs. 1 StBerG ist die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) verpflichtet, über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein beSt empfangsbereit einzurichten. Nach § 86d Abs. 6 StBerG ist der Inhaber des beSt demgegenüber verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beSt zur Kenntnis zu nehmen. 

Nach § 157e StBerG ist die Regelung nach § 86d StBerG am 1.8.2022 in Kraft getreten und erstmals ab dem 1.1.2023 anzuwenden. Trotz erheblicher Schwierigkeiten bei der tatsächlichen Bereitstellung und Nutzung des beSt zum 1.1.2023 ist der BFH bisher davon ausgegangen, dass ab dem 1.1.2023 ein sicherer elektronischer Übermittlungsweg im Sinne des § 52d Satz 2 FGO zur Verfügung stand und damit auch eine aktive Nutzungspflicht für die Steuerberater ab diesem Datum gegeben sei.

 

II. Beschluss des BFH vom 17.4.2024 X B 68, 69/23

In dem Entscheidungsfall wurde durch einen Steuerberater am 10.1.2023 per Telefax für seine Mandanten Klage eingelegt. Das erstinstanzlich zuständige niedersächsische FG wies den Kläger darauf hin, dass die Klage per Telefax nicht zulässig erhoben sei, weil ab dem 1.1.2023 für Steuerberater das beSt zu nutzen sei. Am 28.2.2023 beantragte der Kläger über das beSt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und wiederholte seine Klage. Der Kläger trug insbesondere vor, dass das beSt im Zeitpunkt der Klageerhebungen am 10.1.2023 noch nicht zur Verfügung gestanden habe.

Das FG wies die Klage gleichwohl als unzulässig ab. Zur Begründung seiner Entscheidungen führte das FG aus, die Nichtbeachtung des § 52d Satz 2 FGO, der die elektronische Einreichung der Klage vorschreibe, führe zur Unwirksamkeit der Klageerhebung und schließe auch eine Wahrung der Klagefrist aus. Steuerberater seien „spätestens“ seit dem 1.1.2023 zur Nutzung des beSt verpflichtet. Hierfür komme es nicht darauf an, ob der Registrierungsbrief für das beSt erst später bei dem Steuerberater eingegangen oder die Erstanmeldung erst später vorgenommen worden sei.

Die Revision wurde durch das FG nicht zugelassen. Der Kläger hat daraufhin Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das FG hatte Verfahrensrechte des Klägers verletzt. Der BFH hebte das Urteil auf und verwies das Verfahren zurück an das FG. 

Zur Zulässigkeit der Klage wies der BFH das FG auf folgendes hin:

1. Die Rechtsgrundlage für die Registrierungspflicht ist fraglich

Nach dem BFH sei im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob die Registrierungspflicht der Steuerberater für das beSt eine ausreichende Rechtsgrundlage besitzt. Denn § 86f Nr. 2 StBerG ermächtigt das BMF zwar, durch Rechtsverordnung die Einzelheiten zum beSt zu regeln. Dem sei das BMF durch die Verordnung über die Steuerberaterplattform und die besonderen elektronischen Steuerberaterpostfächer (StBPPV) auch nachgekommen. § 86f StBerG ist jedoch erstmals nach Ablauf des 31.12.2022 anzuwenden (§ 157e StBerG). Die StBPPV wurde aber schon am 25.11.2022 erlassen und am 30.11.2022 verkündet (BGBl. I 2022, 2105), beides mithin vor der Anwendbarkeit ihrer Ermächtigungsgrundlage in § 86f Nr. 2 StBerG. 

Daraus könnte sich – nach dem BFH – ergeben, dass die StBPPV nichtig ist, weil sie verkündet wurde, bevor die Ermächtigungsgrundlage anwendbar war. Sollte dies der Fall sein, könnte es an einer Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung der Steuerberater zur Erstregistrierung fehlen. Zu den Einzelheiten der Registrierung enthält das StBerG nämlich keine Regelungen. Diese finden sich ausschließlich in der möglicherweise nichtigen StBPPV. 

Zudem sei zu prüfen, ob ohne die im Hinblick auf die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung zwingend erforderlichen Regelungen der StBPPV die Nutzung des beSt überhaupt verpflichtend sein könne. § 86d StBerG regle auch nur die passive Nutzungspflicht und reiche als Rechtsgrundlage für die aktive Nutzungspflicht einschließlich der Verpflichtung der Erstanmeldung zum beSt nicht aus. 

Ob sich allein aus § 52d Satz 2 FGO eine Nutzungspflicht ergeben könne, sei zweifelhaft. Dies würde voraussetzen, dass ein auf gesetzlicher Grundlage errichtetes Postfach „zur Verfügung steht“. Zu dieser gesetzlichen Grundlage könnte nach dem Gesamtzusammenhang auch die StBPPV gehören, die erst die „Sicherheit“ des von § 52d Satz 2 FGO vorausgesetzten „sicheren Übermittlungswegs“ herstellt. Wenn die StBPPV unwirksam ist, sei mithin fraglich, ob der elektronische Übermittlungsweg im Sinne des § 52d Satz 2 FGO überhaupt zur Verfügung steht.

2. Grundgesetzliche Zweifel an der Registrierungspflicht

Darüber hinaus könne sich der Senat des BFH „vorstellen“, mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 GG die bislang vom BFH gestellten sehr hohen Anforderungen an Steuerberater in Bezug auf die erstmalige Registrierung „etwas zurückzunehmen“.

Insbesondere neigt der Senat dazu, in rechtsschutzgewährender Auslegung des § 52d Satz 2 FGO davon auszugehen, dass dem Steuerberater ein sicherer Übermittlungsweg nicht bereits typisierend und unwiderleglich seit dem 1.1.2023 „zur Verfügung steht“, sondern erst dann, wenn der Steuerberater, der beim Registrierungsverfahren seine berufsrechtliche Sorgfaltspflicht erfüllt, tatsächlich über ein funktionsfähiges beSt verfügt. 

Da in allen Verlautbarungen der BStBK und der regionalen Steuerberaterkammern, die in den dem Senat bekannten Verfahren vorgelegt wurden, die Möglichkeit des vorgezogenen Registrierungsverfahrens („fast lane“) lediglich als optionales Angebot bezeichnet worden ist, hegt der Senat Zweifel, ob es einem Steuerberater zur Last gelegt werden kann, diesen Weg nicht gewählt zu haben. Das gelte gerade vor dem Hintergrund, dass die BStBK und die regionalen Steuerberaterkammern in diesem Zusammenhang hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. 

Jedenfalls hält es der Senat im Lichte von Art. 19 Abs. 4 GG für geboten, zugunsten der Steuerberater die Übergangsschwierigkeiten bei der Einrichtung des beSt zu berücksichtigen, die sich nicht zuletzt darin manifestiert haben, dass die Registrierungsbriefe planmäßig nicht vor dem 1.1.2023, sondern erst beginnend mit diesem Datum in Tranchen über mehrere Monate hinweg versandt wurden.

Nach dem BFH sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an den Rechtsschutzsuchenden nicht überspannt werden dürfen und Unklarheiten und Schwierigkeiten bei der Nutzung der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten nicht zu Lasten der Rechtsschutzsuchenden gehen dürfen.

 

III. Fazit und Schlussfolgerungen für die Praxis

Die Entscheidung des X. Senats des BFH ist sehr zu begrüßen. Die bisherige strikte Rechtsprechung zur Nutzungspflicht des beSt ab dem 1.1.2023 hatte bei den allermeisten Steuerberatern zu großem Unverständnis geführt. Insbesondere vor dem Hintergrund der Probleme bei der Einführung des beSt war diese Rechtsprechung nur schwer nachvollziehbar. Zumal es sich bei dieser Nutzungspflicht um einen erheblichen Eingriff in den grundgesetzlich verankerten Anspruch auf effektiven Rechtschutz und auf ein faires Verfahren handelt, während das Ziel der Nutzungspflicht, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern, demgegenüber nicht besonders gewichtig erscheint. 

Leider hat der X. Senat in diesem Verfahren nicht abschließend entscheiden können und die Sache wegen Verfahrensmängeln an das Niedersächsische FG zurückverwiesen. Das beSt muss also auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BFH weiterhin genutzt werden. In den Fällen aber, in denen das beSt nicht bereits seit dem 1.1.2023 genutzt werden konnte und Schriftsätze daher nicht mittels beSt elektronisch übermittelt wurden, gibt die Entscheidung den Steuerberatern weitere Argumente gegen die Nutzungspflicht.

Es sind ferner noch mehrere weitere Verfahren beim BFH zur Nutzungspflicht des beSt anhängig. Die Entwicklung wird also weiter zu beobachten sein. Abweisende FG-Urteile sollten ggf. angefochten werden.

Dr. Alexander Ruske
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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