Zehnt – der Steuerblog

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Wegzugsbesteuerung und „lediglich vorübergehende Abwesenheit“ - Kein Erfordernis der Rückkehrabsicht zum Zeitpunkt des Wegzugs!

Die Wegzugsteuer fingiert eine Veräußerung wesentlicher Beteiligungen des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Wegzugs und unterwirft den fiktiven Veräußerungsgewinn der Besteuerung. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG aF ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (Beteiligung iHv. mindestens 1 % innerhalb der letzten 5 Jahre) im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Allerdings entfällt der Steueranspruch nach § 6 Abs. 3 AStG aF nachträglich, wenn eine nur vorübergehende Abwesenheit vorliegt. Dazu muss der Steuerpflichtige innerhalb von fünf Jahren seit Wegzug wieder in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig werden. Weitere Voraussetzungen (insb. keine zwischenzeitliche Übertragung, keine substantiellen Gewinnausschüttungen, keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts) sind einzuhalten. Langjährige Praxis der Finanzverwaltung war es bislang zusätzlich subjektive Anforderungen an die vorübergehende Abwesenheit zu stellen. Der Steuerpflichtige müsse aus Sicht der Finanzverwaltung bereits beim Wegzug den Willen zur Rückkehr gehabt haben, um in den Genuss der Regelung zu kommen. Dem ist der BFH in seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 21. Dezember 2022 (I R 55/19) entgegengetreten: 
 
Der Kläger zog unter Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes zum 1.3.2014 in die Vereinigten Arabischen Emirate. Im Inland behielt er weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs war er an verschiedenen Kapitalgesellschaften wesentlich iSv. § 17 EStG beteiligt. In 2016 und damit binnen 5 Jahren wurde der Kläger wieder in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Nach den finanzgerichtlichen Feststellungen hatte der Kläger allerdings nicht glaubhaft gemacht, dass er bereits bei seinem Wegzug die Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren. Eine vorübergehende Abwesenheit lag aus Sicht des FG daher nicht vor.

Aus Sicht des BFH kommt es auf die Rückkehrabsicht zum Zeitpunkt des Wegzugs nicht an. Der Begriff der vorübergehenden Abwesenheit ist objektiv zu bestimmen. Der Gesetzeswortlaut von § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG aF gebe aus Sicht des BFH keine Auskunft darüber, wann die Willensbildung zur Rückkehr erfolgen müsse. Eine Rückkehrabsicht verlange der Gesetzestext nur für die Verlängerung der Rückkehrfrist, so dass der Rückkehrwille auch im Laufe der ersten 5 Jahre gebildet werden könne. Der nicht abschließende Wortlaut lasse es nach der zutreffenden Ansicht des BFH zu, dem teleologischen Leitprinzip der Regelung Geltung zu verschaffen. Dieses sei auf die Bewahrung des nationalen Besteuerungsrechts bezüglich der stillen Reserven der Kapitalgesellschaftsbeteiligungen ausgerichtet. Der Zweck wird im Fall der Wiederkehr – wenn zwischenzeitlich kein schädliches Ereignis (etwa eine substantielle Ausschüttung) eingetreten ist – nicht tangiert. Der Steueranspruch werde iSd. Verhältnismäßigkeit des Besteuerungszugriffs zurückgenommen, wenn innerhalb eines abgrenzbaren Zeitraums die nationale Realisierung des latenten Steueranspruchs wieder ermöglicht wird. Die Revision war erfolgreich.

Die Entscheidung überzeugt. Sie trägt dem Zweck der Regelung in vollem Umfang Rechnung. Aus Sicht der Steuerpflichtigen ist die Entscheidung zu begrüßen und ermöglicht eine steuerwirksame Rückkehr, auch wenn beim Wegzug eine Rückkehrabsicht nicht bestand. Die Wegzugsbesteuerung wurde im Jahr 2021 durch das ATAD-UmsG reformiert. Auch die Neufassung enthält eine Rückkehrregelung. Unseres Erachtens ist die Rechtsprechung auch auf die Neufassung von § 6 Abs. 3 AStG anzuwenden. Wortlaut und Zweck blieben in den entscheidenden Gesichtspunkten unverändert. Die Haltung der Finanzverwaltung bleibt abzuwarten.

Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Eugen Mehlhaf
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
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