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STRECK MACK SCHWEDHELM erstreitet Urteil des BFH zur Anwendung des subjektiven Leichtfertigkeitsmaßstabs im Rahmen des § 378 AO bei Kaufleuten

Mit Urteil vom 16.5.2023 (II R 35/20) konkretisiert der BFH die Maßstäbe für die Beurteilung einer Leichtfertigkeit iSd. § 378 AO bei Kaufleuten: Die an Kaufleute abstrakt gestellten höheren steuerlichen Sorgfaltspflichten müssen auch im konkreten Einzelfall gerechtfertigt sein. Es ist, so der BFH, auch bei Kaufleuten auf die persönlichen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen in Bezug auf die betreffenden steuerlichen Pflichten abzustellen.

Hintergrund der Entscheidung war die Frage einer verlängerten Festsetzungsfrist von fünf Jahren gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AO wegen einer (angeblichen) leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO durch den Kläger – einem Kaufmann bzw. Betriebswirt. Der BFH sah den objektiven Tatbestand des § 378 AO iVm. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen eines Verstoßes gegen steuerliche Anzeigepflichten im Zusammenhang mit der Grunderwerbsteuer nach § 19 GrEStG als erfüllt an. Auf subjektiver Ebene sei die Vorinstanz jedoch unzutreffend von einem objektiven Leichtfertigkeitsbegriff ausgegangen. Sie habe bloß ein abstrakt höheres Anforderungsprofil an Kaufleute definiert, ohne auf das Individuum bezogene Feststellungen zu treffen. Der BFH hob das Urteil der Vorinstanz auf und folgte hierbei im Wesentlichen unserer Argumentation:

Im Rahmen des § 378 AO gilt ein subjektiver Leichtfertigkeitsbegriff, der auch auf Kaufleute anzuwenden ist. Der Steuerpflichtige muss nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen sein, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Der Umstand einer bestimmten formalen Ausbildung oder Stellung des Steuerpflichtigen hat bloße Indizwirkung für die Leichtfertigkeit. Entsprechende vermehrte Fähigkeiten und Kenntnisse, die ein Problembewusstsein für steuerliche Pflichten und dadurch erhöhte Erkundigungs- und Sorgfaltspflichten schaffen, müssen auch tatsächlich vorhanden sein. Der BFH schränkte den Bezugspunkt der individuellen Fähigkeiten auf den Bereich der betreffenden Steuer ein, sodass er im entschiedenen Fall konkret auf die verfahrensrechtliche Anzeigepflicht nach § 19 GrEStG abstellte. Wenn der Kaufmann hierzu – jenseits der materiellen Steuerpflicht – tatsächlich nicht über vertiefte Kenntnisse verfügt, kann ihm dies auch nicht unterstellt werden, nur weil er Kaufmann ist. 

Beraterhinweis: Die Entscheidung verdeutlicht, dass allein die Kaufmannseigenschaft als solche keinen Leichtfertigkeitsvorwurf im Zusammenhang mit steuerlichen Pflichten begründen kann. Der Berater sollte daher im Kontext des § 378 AO stets die persönlichen steuerlichen Kenntnisse des Mandanten bezogen auf den konkret vorgeworfenen Pflichtenverstoß eruieren.   

Hanna Kracht
Rechtsanwältin
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Dr. Alexander Ruske
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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