Zehnt – der Steuerblog

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Grundsatzurteil des BFH zum Vertrauensschutz bei der Umsatzsteuer

Der BFH hat kürzlich ein Grundsatzurteil zum Vertrauensschutz nach § 176 AO bei der Umsatzsteuer veröffentlicht (BFH-Urteil vom 6.7.2023 - V R 5/21). Danach ist auf den Zeitpunkt der jeweiligen Voranmeldungsfestsetzung und nicht auf den Zeitpunkt der Umsatzsteuer-Jahresfestsetzung abzustellen. Dies führt zur zeitlichen Vorverlagerung des Vertrauensschutzes. Dieses unternehmerfreundliche Urteil ist daher hocherfreulich. 

Worum geht es im Einzelnen? 

Das Besprechungsurteil des BFH erging zu § 176 Abs. 2 AO und den sog. Bauträgerfällen. Das Urteil ist jedoch darüber hinaus generell zur Umsatzsteuer anwendbar.

Nach § 176 Abs. 2 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Zur Umsatzsteuer gilt hierzu nach dem Besprechungsurteil: Für die Prüfung, ob danach einer Änderung einer Steuerfestsetzung zu Lasten des Steuerpflichtigen der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO entgegensteht, ist auf die Voranmeldungsfestsetzungen und nicht auf die Umsatzsteuerjahresfestsetzung abzustellen, wenn Voranmeldungen eingereicht wurden. Dies begründet der BFH zutreffend wie folgt:

§ 176 AO schützt nicht das Vertrauen in die Gesetzgebung oder in die höchstrichterliche Rechtsprechung, sondern in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung. Bei der Umsatzsteuer besteht insoweit die Besonderheit, dass § 18 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 UStG anordnet, dass der Unternehmer für die gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG bereits mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums (Kalendermonat oder- vierteljahr) entstandene Steuer eine Voranmeldung (Steueranmeldung) an das Finanzamt zu übermitteln hat, die unter den Voraussetzungen des § 168 AO zu einer Umsatzsteuervoranmeldungsfestsetzung führt. Die Steuer für den Voranmeldungszeitraum geht dann nach ständiger BFH-Rechtsprechung – vereinfacht formuliert – später in der Steuer für den Besteuerungszeitraum des Kalenderjahres (die Umsatzsteuerjahresfestsetzung) auf. Damit weist ein hierzu ergangener Umsatzsteuerjahresbescheid grundsätzlich denselben Regelungsinhalt auf, wie die Gesamtheit der für diesen Besteuerungszeitraum vorliegenden Voranmeldungsfestsetzungen. Daher ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die im § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift nicht mit dem geltenden Recht in Einklang steht, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen. Dies steht auch im Einklang mit dem Unionsrecht, so der BFH weiter.

Zwar hat sich der BFH im Besprechungsurteil – mangels Entscheidungserheblichkeit – nicht zum Zeitpunkt des Vertrauensschutzes nach § 176 Abs. 1 AO geäußert, der den Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen regelt, soweit zB nach einer Steuerfestsetzung eine Gesetzesnorm für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird oder die höchstrichterliche Rechtsprechung sich zu einer Gesetzesnorm ändert. Die Begründungen im Besprechungsurteil zu § 176 Abs. 2 AO sind jedoch meines Erachtens hierauf übertragbar. Danach ist auch für § 176 Abs. 1 AO auf die Voranmeldungsfestsetzungen abzustellen, auch wenn bisher aus dem BFH-Beschluss vom 23.4.2010 – V B 89/09, BFH/NV 2010, 1782, teilweise anderes abgeleitet wird. 

Darüber hinaus ist das Besprechungsurteil von besonderer Bedeutung für die Auslegung des § 27 Abs. 19 UStG in den sog. Bauträgerfällen: Denn nach dem Besprechungsurteil besteht nach dieser Norm keine Änderungsbefugnis, wenn der Organträger einer Bauleistung erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger (Bauträger) an das Finanzamt abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Eine nachträgliche Inanspruchnahme des Organträgers für die abzuführende Umsatzsteuer auf die Bauleistungen der Organgesellschaft an den Bauträger scheidet dann aus, dh. auch dann, wenn der Bauträger die von ihm abgeführte Umsatzsteuer hierauf aus der irrtümlich angenommenen Umkehr der Steuerschuldnerschaft vom Finanzamt zurückerstattet erhält.
 

Cristian Esteves Gomes
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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