Zehnt – der Steuerblog

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Erwerb angrenzender Wohnung als erbschaftsteuerlich begünstigtes Familienheim

1. Das Erbschaftsteuergesetz sieht in § 13 Abs. 1 Nr. 4a, b und c eine echte Steuerbefreiung für das „Familienheim“ vor. Erfasst sind der Erwerb von Todes wegen durch den Ehegatten oder Lebenspartner (Variante der Nr. b) oder durch die Kinder bzw. die Enkel, falls die Kinder verstorben sind (Variante Nr. c). Das Gesetz knüpft in diesen Fällen die Begünstigung an Nutzungs- oder Behaltensfristen und gewährt sie beim Erwerb durch Kinder oder Enkel nur bis zu einer Wohnfläche von 200 qm. Unter Lebenden begünstigt ist darüber hinaus auch die Übertragung auf den Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG). In diesem Fall verzichtet das Gesetz auf die oben genannten Restriktionen. 

2. Voraussetzung in allen Varianten ist die Übertragung des „Familienheims“. Die Judikatur zur Bestimmung und Abgrenzung ist vielfältig. Ferien- und Zweitwohnungen werden nicht erfasst (BFH vom 18.7.2013, BStBl. II 2013, 1051). Gleiches gilt für mehrere Wohnungen im selben Haus, auch wenn sie über ein Treppenhaus verbunden sind (FG Köln vom 30.1.2019 Aktenzeichen, EFG 2019, 1126). Nicht begünstigt ist der Abriss und Neubau, selbst wenn dies durch Bautechnik notwendige Maßnahmen indiziert wird (FG München vom 22.10.2021 Aktenzeichen, EFG 2015, 236). 

Der Umfangs des Familienheims bestimmt sich grundsätzlich nach das Grundbuch, dem jeweiligen Flurstück. Erfolgt eine gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts und enthält diese Feststellung über die wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens, ist diese Feststellung auch als Grundlagenbescheid maßgebend für den Umfang der Begünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis c ErbStG (BFH vom 23.2.2021 II R 29/19). Ein angrenzendes unbebautes Gartengrundstück gehört nach der Rechtsprechung des FG Düsseldorf vom 16.4.2018 Aktenzeichen, ZEV 2018, 488; und FG München vom 5.4.2018 Aktenzeichen, EFG 2019, 453, trotz wirtschaftlicher Einheit nicht zum Familienheim. Umgekehrt sind Garagen, Nebengebäude, soweit sie sich auf demselben Grundstück befinden und ein Nutzungszusammenhang besteht begünstigt (RE 13.3 Abs. 2 Satz 8 ErbStR 2019). Auch ein Pool auf demselben Grundstück gehört zum Familienheim (FG Düsseldorf vom 16.4.2018 Aktenzeichen, ZEV 2018, 488). 

3. Über eine weitere Sondersituation entschied nun der BFH mit Urteil vom 6.5.2021 II R 46, 19, veröffentlicht am 25.11.2021. Ausgangslage waren zwei Doppelhaushälften. Die eine wurde vom Erblasser, die andere von seinem Sohn als Alleinerben genutzt. Der Sohn führte nach dem Tod des Vaters über 34 Monate Renovierungs- und Sanierungsarbeiten aus und verband beide Doppelhaushälften zu einer einheitlichen Wohnung. Zur Wohnfläche der geerbten Doppelhaushälfte traf das FG Münster (vom 24.10.2019 3 K 3184/17 Erb, EFG 2020, 2149) als Vorinstanz keine Feststellungen. 

Das FG Münster versagte die gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG geltend gemachte Steuerbefreiung mangels unverzüglicher Nutzung des geerbten Familienheims (grundsätzlich 6 Monate nach Erbfall, anderenfalls Darlegungspflicht der nicht verschuldeten Verzögerung, vgl. BFH vom 28.5.2019 II R 37/16, BStBl. II 2019, 678; FG München vom. 20.5.2020 4 K 3287/18, EFG 2020, 1088; H E 13.4 „Unverzügliche Selbstnutzung“ ErbStR 2019). Der Erbe habe nicht alles technisch Denkbare (zB Trocknungsgeräte) unternommen, um so schnell wie möglich in die Selbstnutzung einzutreten. 

Der BFH wertet in seinem Urteil vom 6.5.2021 diesen Maßstab als zu streng. Es könne lediglich der Aufwand gefordert werden, der nach der Verkehrsanschauung als angemessene Förderung des Baufortschrittes zu qualifizieren sei. Er verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück zum FG Münster. Es müsse klären, ob der Erbe den Aufwand betrieben habe, der nach der Verkehrsanschauung als angemessene Förderung des Baufortschrittes zu qualifizieren sei. 

4. Besonderer Bedeutung kommt dem Urteil des BFH vom 6.5.2021 insbesondere hinsichtlich folgender zwei Aussagen zu:

Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. c ErbStG (Erwerb durch Kinder) kann auch den Erwerb einer Wohnung umfassen, die räumlich an die vom Erwerber bereits selbstgenutzte Wohnung angrenzt und nach dem Erwerb beide Wohnungen zu einer einheitlichen selbstgenutzten Wohnung verbunden werden. Hinsichtlich der in § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG findet die Wohnflächenbegrenzung (200 m²) nur auf die hinzuerworbene Wohnung Anwendung. 

Ersteres muss mE auch für die weiteren Fälle des § 13 Abs. 1 Nr. 4 a und b ErbStG gelten. 

Diese Überlegungen können für die Gestaltungs-, insbesondere die Testamentsberatung, fruchtbar gemacht werden.
 

Dr. Heinz-Willi Kamps
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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