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Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des „neuen“ Erbschaftsteuergesetzes

Auf Druck des Bundesverfassungsgerichts regelte der Gesetzeber die verfassungswidrigen Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen (§§ 13a ff. ErbStG) mit Gesetz vom 4.11.2016 neu. Die derzeit geltende Gesetzesfassung hat in der Literatur enorme Kritik erfahren. Besonders kritisch ist § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG zu betrachten. Die Vergünstigung wird danach vollständig versagt, wenn (vereinfacht) das Verwaltungsvermögen mindestens 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG).

Problematisch an dieser Regelung ist, dass dabei nicht auf das tatsächliche Verwaltungsvermögen, sondern auf das „potentielle“ Verwaltungsvermögen abgestellt wird. Dies führt im Ergebnis dazu, dass Finanzmittel brutto in die Quotenberechnung einfließen, dh. vor Abzug von Schulden und dem in § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG geregelten Freibetrag von 15 %. Verfügt also beispielsweise ein Handelsunternehmen mit einem Unternehmenswert von € 1,0 Mio. über kein sonstiges Verwaltungsvermögen, wohl aber über Forderungen und liquide Mittel in Höhe von € 900.000,-- und Verbindlichkeiten in gleicher Höhe, liegt zwar insoweit im Grundsatz kein zu versteuerndes Verwaltungsvermögen vor. Die Finanzmittel könnten vollständig mit den Verbindlichkeiten verrechnet werden (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG). Sogar die Verwaltungsvermögensquote des § 13a Abs. 10 ErbStG (bei der Finanzmittel nur berücksichtigt werden, sofern sie die Schulden und ggf. den 15 %-Freibetrag übersteigen) würde eingehalten. Trotzdem würde ein solches Unternehmen an der 90 %-Grenze des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG scheitern, da die Finanzmittel mindestens 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens ausmachen.

Die 90 %-Grenze ist deshalb in der Literatur auf einhellige Ablehnung gestoßen. Dem folgt nun auch das Finanzgericht Münster in einem AdV-Beschluss (vom 3.6.2019 3 V 3697/18 Erb, ZEV 2019, 551). Es hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG. Die Norm führe zu einem wirtschaftlich nicht nachvollziehbaren Ergebnis. Insofern sei auch zweifelhaft, ob dieses Ergebnis durch den Gesetzeszweck, der darin besteht, Missbrauch zu verhindern, gedeckt werde. Ob die Norm teleologisch reduziert werden könne, sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Bis zu einer abschließenden Entscheidung dieser Frage durch das Bundesverfassungsgericht sollten einschlägige Bescheide daher unbedingt offengehalten werden. Es spricht viel dafür, dass auch die aktuell geltenden Verschonungsregelungen des ErbStG verfassungswidrig sind. Der Versuch des Gesetzgebers, das seinerzeit verfassungswidrige Erbschaftsteuergesetz durch ein verfassungsgemäßes zu ersetzen, dürfte erneut fehlgeschlagen sein. In der Gestaltungsberatung ist die 90 %-Grenze bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung weiterhin ernst zu nehmen.

Vertiefend dazu OLBING/STENERT, FR 2017, 701.

 

 

Dr. Jens Stenert
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Klaus Olbing
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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