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Zeitliche Grenzen der Einkommensteuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer

I. Hintergrund: Doppelbelastung mit Einkommen- und Erbschaftsteuer

Erwirbt der Steuerpflichtige im Rahmen einer Erbschaft einen Vermögensgegenstand, den er später veräußert, kann es zu einer Doppelbelastung sowohl mit Einkommen- als auch Erbschaftsteuer kommen. 

Beispiel: Der Erbe veräußert eine vom Erblasser angeschaffte Immobilie, bei der die zehnjährige Behaltensfrist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) noch nicht abgelaufen ist.

Im Beispielsfall bemisst sich der Veräußerungsgewinn (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG) aus der Veräußerung der Immobilie nach der Differenz des Veräußerungspreises einerseits und den historischen Anschaffungskosten des Erblassers und Werbungskosten (§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG; hierzu RATSCHOW in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 23 Rz. 175 (Dez. 2023); TROSSEN in BeckOK EStG, § 23 Rz. 232 (März 2024)) andererseits. Ebenfalls wird der gegenüber den Anschaffungskosten gestiegene Verkehrswert bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer (§§ 11, 12 ErbStG) angesetzt. Damit kommt es zu einer doppelten Besteuerung des Wertzuwachses (vgl. WIDMANN in BeckOK EStG, § 35b Rz. 5 (März 2024)).


II. Einkommensteuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer

Die vorgenannte Doppelbelastung will das Gesetz durch die Regelung des § 35b EStG mildern (vgl. nur BFH vom 13.3.2018 IX R 23/17, BStBl. II 2018, 593). Eine vollständige Anrechnung der Erbschaftsteuer auf die Einkommensteuer erfolgt allerdings nicht (BT-Drucks. 16/11107, S. 25). Das Gesetz sieht folgenden Mechanismus vor:

1. Voraussetzungen

Voraussetzung für die Ermäßigung ist, dass bei der Ermittlung des Einkommens des Steuerpflichtigen Einkünfte (vgl. § 2 Abs. 2 EStG) berücksichtigt wurden, die als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlagen. Die gesetzliche Formulierung ist missverständlich. Gemeint sind geerbte Vermögensgegenstände, die beim Erblasser nicht zu einkommensteuerpflichtigem Einkommen geführt haben, aber beim Erwerber (dh. beim Erben oder Vermächtnisnehmer), zB durch Veräußerung dieses Vermögensgegenstands zu einkommensteuerpflichtigen Einkünften führen und sich daher im Rahmen der Ermittlung des Einkommens steuererhöhend auswirken (vgl. SCHALLMOSER in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 35b EStG Rz. 14 (Dez. 2023)). 

Begünstigt werden nur Erwerbe von Todes wegen, dh. Erbschaften, Vermächtnisse, Pflichtteilsansprüche; Schenkungen hingegen nicht (FISCHER in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., 2024, § 35b Rz. 2). Ferner ist die Ermäßigung zeitlich begrenzt. Sie kann nur innerhalb von fünf Jahren nach dem Erbfall geltend gemacht werden. 

2. Rechtsfolge

Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, kann die Einkommensteuer des Erben ermäßigt werden. Die Steuerermäßigung berechnet sich wie folgt:

Zunächst werden die anteilig auf die nach § 35b Satz 1 EStG begünstigten Einkünfte entfallende Einkommensteuer und der Ermäßigungsprozentsatz gem. § 35b Satz 2 EStG ermittelt. Der Prozentsatz der Entlastung entspricht dem Satz der Erbschaftsteuer, dem der gesamte Erwerb im Durchschnitt unterlag. Der Betrag nach § 35b S. 1 EStG multipliziert mit dem Ermäßigungsprozentsatz ergibt den Betrag der Steuerermäßigung (siehe hierzu FISCHER in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., 2024, § 35b Rz. 3).


III. Entscheidung des BFH vom 28.11.2023

Welche Probleme die Vorschrift in der Praxis birgt, verdeutlicht die jüngst veröffentlichte Entscheidung des BFH vom 28.11.2023 (X R 20/21).

1. Sachverhalt

Der Steuerpflichtige war Alleinerbe. Zum Nachlass der im Jahr 2010 verstorbenen Erblasserin gehörten zwei Beteiligungen an Kommanditgesellschaften. Nach verschiedenen Schwierigkeiten – die nicht im Machtbereich des Steuerpflichtigen lagen – wurde erst im Jahr 2016 ein Erbschein ausgestellt und die Erbschaftsteuer festgesetzt sowie entrichtet. Bis zur Erteilung des Erbscheins konnte der Steuerpflichtige aufgrund der Bestellung eines Nachlass- und Verfahrenspflegers nicht über den Nachlass verfügen.

Mit Wirkung zum 1.1.2017 veräußerte der Steuerpflichtige die geerbten KG-Beteiligungen und begehrte hinsichtlich dieser Veräußerung die Steuerermäßigung nach § 35b EStG. 

2. Rechtliche Würdigung des BFH

Der BFH lehnte – ebenso wie das Finanzamt und das Instanzgericht – eine Ermäßigung ab. Im Zeitpunkt der Veräußerung der KG-Beteiligungen sei der fünfjährige Begünstigungszeitraum des § 35b EStG bereits abgelaufen. Dieser beginne mit der Entstehung der Erbschaftsteuer (§ 9 ErbStG), mithin der Zeitpunkt des Todes der Erblasserin: 

  • Dies ergebe sich aus der Gesetzessystematik sowie der Notwendigkeit, die Berechnung der Ermäßigung auch tatsächlich durchführen zu können. Die in § 35b EStG vorgesehene Steuerermäßigung lasse sich nach Grund und Umfang nur dann sachgerecht ermitteln, wenn man auf den Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer abstellt.
  • Nach dem Wortlaut des § 35b Satz 1 EStG komme es auf ein Verschulden nicht an. Deshalb sei es vorliegend unerheblich, dass der Erbschein erst sechs Jahre nach dem Tod der Erblasserin erstellt wurde und der Steuerpflichtige erst nach Erteilung des Erbscheins die streitigen einkommensteuerpflichtigen Einkünfte überhaupt erzielen konnte.


IV. Würdigung der Entscheidung

Der BFH ruft ein in der Praxis oftmals übersehenes Problem bei Erbschaften ins Gedächtnis. 

1. Der mit fünf Jahren relativ kurz bemessene Begünstigungszeitraum des § 35b EStG wird in der Literatur zu Recht kritisiert (siehe FÜSSENICH in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 35b Rz. B 61a f. (April 2024); MELLINGHOFF, DStjG 22, 127 (145)). Die Beschränkung der Ermäßigung auf fünf Veranlagungszeiträume beruht auf der Vorstellung des Gesetzgebers, dass (typischerweise) innerhalb von fünf Jahren nach einem Erbfall die im Nachlass enthaltenen Forderungen eingezogen sind und sich die stillen Reserven mit zunehmender Zeit nach dem Erbfall nicht mehr präzise der Besitzzeit des Erblassers oder des Erben zuordnen lassen (siehe KULOSA in Schmidt, EStG, 43. Aufl., 2024, § 35b Rz. 12; WIDMANN in BeckOK EStG, § 35b Rz. 19 (März 2024)). In der Praxis ist die Begünstigungszeit, wie der Besprechungsfall zeigt, oftmals zu kurz bemessen. Die einkommensteuerliche Begünstigung sollte an die sieben bzw. zehnjährige erbschaftsteuerliche Nachbesteuerung bei der Übertragung von begünstigtem (Betriebs-)Vermögen (§ 13a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 ErbStG) geknüpft werden (hierzu und zum Folgenden HERZIG/JOISTEN/VOSSEL, DB 2009, 584). Dies sichert einen (zeitlichen) Gleichlauf von Einkommen- und Erbschaftsteuer. Ansonsten besteht die Gefahr einer nicht gem. § 35 b EStG abgeminderten Doppelbelastung.

2. Zumindest ist die Begünstigung nach § 35b EStG zu gewähren, wenn der fünfjährige Begünstigungszeitraum aus Gründen überschritten wird, die der Steuerpflichtige nicht zu vertreten hat. Ist der Erbe, wie im Entscheidungsfall, ohne sein Verschulden gehindert, die Anteile zu veräußern, sprechen das Gebot der Verhältnismäßigkeit und die materielle Einzelfallgerechtigkeit dafür, den Begünstigungszeitraum entsprechend zu erweitern. Dieser Gedanke findet sich auch im materiellen Erbschaftsteuerrecht wieder (siehe bspw. § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG). Zwar enthält der Wortlaut des § 35b EStG nicht ausdrücklich eine solche Möglichkeit. Die fünfjährige Frist beruht allerdings auf einer gesetzlichen Typisierung (siehe oben unter Tz. IV . 1.). Liegt wie im Besprechungsfall – aufgrund personeller Engpässe beim Nachlassgericht – ein atypischer Fall vor, kann dies nicht zu einer Risikoverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen führen. 

 

V. Praxishinweis

Die aufgezeigte Problematik ist nicht nur bei Alleinerben, sondern insbesondere für Erbengemeinschaften relevant (§ 2032 BGB). Erbt die Erbengemeinschaft bspw. einen Betrieb des Erblassers, möchte sie diesen regelmäßig nicht fortführen. Die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft (§ 2042 BGB) ist grundsätzlich zeitaufwändig. Um eine spätere Einkommensteuerbelastung bei der Veräußerung von Nachlassgegenständen zu reduzieren, sollte der (fünfjährige) Begünstigungszeitraum des § 35b Satz 1 EStG nicht aus den Augen verloren werden. Insoweit zeigt sich das allgemeine Dilemma der Erbengemeinschaften. Kann sich der Erblasser nicht dazu durchringen, die Vermögenswerte konkret einzelnen Personen zuzuordnen, führt dies in der Praxis oftmals zu Streit und (steuerlichen) Risiken. Für die Beraterpraxis empfehlen wir eine Fristnotierung.

Dr. Heinz-Willi Kamps
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Torben Gravenhorst
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