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Wertminderungen nach Festsetzung von Wegzugsteuer

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG wird im Falle des Wegzugs einer natürlichen Person, die wesentlich an einer Kapitalgesellschaft iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beteiligt ist, unter bestimmten Voraussetzungen die Veräußerung der Beteiligung fingiert und der fiktive Gewinn versteuert. Während bis zur Reform der Wegzugsbesteuerung durch das ATADUmsG vom 25.6.2021 die festgesetzte Steuer nach Maßgabe von § 6 Abs. 5 AStG aF in EU/EWR-Fällen dauerhaft gestundet werden konnte, kann seither die Zahlung lediglich auf sieben gleiche Jahresraten gestreckt werden. Für Altfälle (Wegzug vor dem 1.1.2022) gilt die dauerhafte Stundungsmöglichkeit nach Maßgabe von § 21 Abs. 3 Nr. 2 AStG fort. Wird die Beteiligung tatsächlich veräußert oder tritt ein gleichgestelltes Ereignis ein, wird die Stundung widerrufen und die festgesetzte Steuer fällig.

 

Das Problem

Welchen Wert die Beteiligung im Zeitpunkt des Widerrufs hat, ist grundsätzlich unbeachtlich. Es bleibt bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung. Das kann für Steuerpflichtige dramatische Konsequenzen nach sich ziehen, wenn der Wert der Beteiligung zwischen der Steuerfestsetzung bei fingierter Veräußerung im Zeitpunkt des Wegzugs und tatsächlicher Veräußerung gesunken ist. Vor diesem Hintergrund enthält § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG aF eine Korrekturmöglichkeit: Die Steuerfestsetzung ist zu ändern, soweit nachträglich eine Wertminderung eingetreten ist und „die Wertminderung bei der Einkommenbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt“ wird. Unklar war bislang, welche Anforderungen an die Nichtberücksichtigung der Wertminderung im Ausland zu stellen sind. Nach Auffassung der finanzgerichtlichen Rechtsprechung muss der Steuerpflichtige die Berücksichtigung der Wertminderung im Ausland zunächst erfolglos beantragt haben, bevor eine Änderung nach § 6 Abs. 6 AStG aF erfolgen kann (FG Münster vom 17.9.2020 5 K 3356/17 E, EFG 2020, 1645). 


Die Entscheidung

Dem ist der BFH in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 26.7.2023 (I R 39/20) entgegengetreten. Im Streitfall war der Wert einer im Streitjahr veräußerten Beteiligung nach einem Wegzug nach Österreich um mehr als zwei Drittel gesunken. Einen Antrag auf Berücksichtigung der Wertminderung in Österreich stellte der Steuerpflichtige nicht, obwohl es wohl die Möglichkeit gegeben hätte, den Verlust feststellen zu lassen. Nach Auffassung des BFH war der Steuerpflichtige dazu auch nicht verpflichtet. Die Wertminderung muss im Ausland in der Steuerveranlagung des konkreten Falls berücksichtigt worden sein. Nur dann steht die Berücksichtigung einer Korrektur nach § 6 Abs. 6 AStG aF entgegen. Allein die generell-abstrakte Möglichkeit der Berücksichtigung im Ausland schließt den Antrag nach § 6 Abs. 6 AStG aF nicht aus. Auch ist der Steuerpflichtige durch § 6 Abs. 6 AStG aF nicht verpflichtet, vorrangig auf eine Berücksichtigung von Verlusten im Ausland hinzuwirken. Jedenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige im Ausland keiner Erklärungspflicht unterliegt, muss er den Sachverhalt nicht überobligatorisch offenlegen und die Berücksichtigung beantragen. Er kann den Antrag nach § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG aF stellen und die Berücksichtigung der Verluste im Inland durch Änderung der Steuerfestsetzung im Jahr des Wegzugs erwirken. Wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn eine Erklärungspflicht im Ausland besteht, ließ der BFH offen. 


Das Fazit

Die Entscheidung überzeugt. Zutreffend stellt der BFH fest, dass die Korrektur nach § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG aF nur den Normalfall der Besteuerung des tatsächlich realisierten Vermögenszuwachses herstellt. Die Anerkennung von Verlusten im Ausland hat häufig keinen neutralisierenden Effekt, weil positive – mit den Verlusten verrechenbare – Einkünfte in entsprechender Höhe nicht erzielt werden (so auch im Entscheidungsfall) oder die Verrechenbarkeit der Verluste im Ausland auf bestimmte Einkunftsarten beschränkt ist. Sind in der Vergangenheit Änderungsanträge nach § 6 Abs. 6 AStG aF aufgrund der abstrakten Möglichkeit der Verlustberücksichtigung im Ausland unterblieben, sind sie nachzuholen. 

Achtung: Obwohl in Altfällen die Stundungsregelung von § 6 Abs. 5 AStG aF fortgilt, hat der Gesetzgeber auch für diese Fälle die Möglichkeit der Berücksichtigung von Wertminderungen nach § 6 Abs. 6 AStG aF ersatzlos gestrichen, § 21 Abs. 3 Nr. 1 AStG. Zwar stehen dem  uE verfassungs- und europarechtliche Bedenken gegenüber. Gleichwohl kann es in der Praxis bei nachträglichen Wertminderungen angezeigt sein, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Beendigung der Stundung und die damit verbundene tatsächliche Besteuerung fiktiver Gewinne zu verhindern.
 

Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Eugen Mehlhaf
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
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