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Pflichtteilsstrafklauseln im Erbschaftsteuerrecht

I. Berliner Testament

Das sog. Berliner Testament ist als erbrechtliche Regelung bei Ehegatten mit Kindern beliebt. Es sieht vor, dass das Vermögen des Erstversterbenden (zB des Vaters) zunächst auf den überlebenden Ehegatten (zB die Mutter) übergeht und dann beim Tod des Überlebenden an die Kinder gelangt (sog. Schlusserben). Vorteil ist die wirtschaftliche Absicherung des länger lebenden Ehegatten. Allerdings bestehen steuerliche Nachteile: Die Ehegatten überleben sich im Regelfall nur um wenige Jahre. Das Vermögen des Erstversterbenden unterliegt sodann im relativ kurzen zeitlichen Abstand zweimal der Erbschaftsteuer. Überschreitet der Wert des Nachlasses des Letztversterbenden, in dem sich der nicht aufgebrauchte Nachlass des Erstversterbenden kumuliert, die Freibeträge der Erben (zB pro Kind € 400.000,--), entsteht Erbschaftsteuer. Bedenkt hingegen bspw. der Vater seine Kinder unmittelbar, würde insoweit nur einmal Erbschafteuer entstehen (HANNES/HOLTZ in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Aufl., 2021, § 15 Rz. 33). Dies wird durch die Ermäßigungsmöglichkeit des § 27 ErbStG nicht ausreichend kompensiert. 


II. Pflichtteilsstrafklauseln

Oftmals versehen die Ehegatten ein solches Testament mit einer Pflichtteilsstrafklausel. Hierdurch soll die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs unattraktiv und der Nachlass „zusammengehalten“ werden (KRÄTZSCHEL in Krätzschel/Falkner/Döbereiner NachlassR, 12. Aufl., 2022, § 11 Rz. 49). Sie sehen idR. vor, dass die Erbeinsetzung im Schlusserbfall entfällt, wenn der Schlusserbe seinen Pflichtteil nach dem Erstversterbenden geltend macht (zu Gestaltungsmöglichkeiten siehe KAMPS, Stbg 2021, 243 (245)).

Eine besondere Form ist die sog. Jastrowsche Klausel (siehe dazu JASTROW, DNotZ 1904, 424). Inhalt ist folgender: Die postmortale Geltendmachung des Pflichtteils gegen den zunächst Überlebenden schließt – wie bei einer regulären Pflichtteilsstrafklausel – den Pflichtteilsgläubiger von der Erbfolge nach dem Überlebenden aus. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollen allerdings beim Tod des länger lebenden Ehegatten einen zusätzlichen Anteil am Nachlass des Erstversterbenden erhalten: Sie erhalten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils. 


III. Entscheidung des BFH vom 11.10.2023

Zu den erbschaftsteuerlichen Folgen einer solchen Jastrowschen Klausel hat jüngst der BFH mit seiner am 27.2.2024 veröffentlichten Entscheidung (vom 11.10.2023 II R 34/20) Stellung genommen. 

Sachverhalt (vereinfacht): Die Ehegatten hatten sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Als Erben des Überlebenden (Schlusserben) setzten die Eheleute unter anderem ihre Tochter, die Steuerpflichtige, ein. Das Testament enthielt eine Pflichtteilsstrafklausel. Diese regelte für den Fall, dass eines der Kinder auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen sollte, dieses Kind auch vom Nachlass des überlebenden Ehegatten nur den Pflichtteil erhalten sollte. Die Kinder, die den Pflichtteil nicht geltend machen, sollten nach dem Tod des Längerlebenden mit einem Vermächtnis belohnt werden (sog. Jastrowsche Klausel). 

Nach dem Tod des Vaters machte die Steuerpflichtige ihren Pflichtteil nicht geltend. Damit stand ihr das Vermächtnis zu. Dieses setzte sie in der Erbschaftsteuererklärung mindernd als Nachlassverbindlichkeit an. Das Finanzamt berücksichtigte weder eine Nachlassverbindlichkeit aus dem betagten Vermächtnis, noch besteuerte es das Vermächtnis als solches. Der BFH folgte dem im Ergebnis. Maßgeblich waren folgende Überlegungen:

1. Der Erbfall der Mutter begründet zwei steuerpflichtige Erwerbe.

a. Zum einen erwarb die Steuerpflichtige (erbschaftsteuerlich) von der Mutter das Vermächtnis (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG). Zwar entstand das Vermächtnis bereits mit dem Tod des Vaters, aber wurde mit dem Tod der Mutter fällig. Erbschaftsteuerlich gilt dies als Erwerb nach dem Letztversterbenden, also der Mutter (§ 6 Abs. 4 ErbStG). 

b. Zum anderen war sie aufgrund der Anordnung des Berliner Testaments Schlusserbin nach ihrer Mutter (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG). Hierbei konnte sie als Erbin die Vermächtnisschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vom Nachlass abziehen.

2. In der Gesamtschau wird das Vermächtnis jedoch nicht doppelt besteuert. Zwar unterliegt der Wert des Vermächtnisses faktisch zweimal der Erbschaftsteuer. Nach dem Versterben des Vaters konnte die Mutter als dessen Erbin das aufgrund der Pflichtteilsstrafklausel bereits mit dem Tod des Vaters angefallene Vermächtnis nicht als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug bringen. Es war zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig (sog. betagtes Vermächtnis). Mit dem Tod der letztversterbenden Mutter stellt das Vermächtnis einen steuerbaren Erwerb der Tochter dar (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG). Allerdings konnte die Tochter als Erbin die Vermächtnisschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vom Nachlass abziehen. Hierdurch neutralisiert sich, dass sie selbst das Vermächtnis versteuern muss.

 

IV. Folgen für die Testamentsgestaltung

In der Testamentsgestaltung sollten die Vor- und Nachteile einer solchen Pflichtteilsstrafklausel gegeneinander abgewogen werden. Ist eine Pflichtteilsstrafklausel gewollt, bestehen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten:

Einerseits kann durch entsprechende Klauseln sichergestellt sein, dass der überlebende Ehegatte frei über sein Vermögen verfügen kann. Es kann ihm insbesondere möglich sein, die Pflichtteilsstrafklausel aufzuheben oder abzumildern. Hierdurch besteht allerdings die Gefahr der Einflussnahme auf den Letztlebenden durch die Pflichtteilsberechtigten.

Soll das Risiko einer solchen Einflussnahme ausgeschlossen werden, bietet sich andererseits eine bindende Regelung an. In diesem Fall besteht frühzeitig Sicherheit über die Erbfolge. Am Ende stellt es eine wirtschaftliche und familiäre Abwägung dar, ob dieser Weg aus rein erbschaftsteuerlichen Überlegungen beschritten werden soll (KAMPS, Stbg 2021, 243 (244)).

Dr. Heinz-Willi Kamps
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Torben Gravenhorst
Rechtsanwalt
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