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„Passive Entstrickungsgewinne“ für spanische Immobilien-S.L. europarechtswidrig

Das Finanzgericht Köln wertet in seinem Urteil vom 17.6.2021 (Az. 15 K 888/18, bisher nicht veröffentlicht) die Erfassung eines passiven Entstrickungsgewinns auf spanische Kapitalgesellschaftsanteile gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG als europarechtswidrig, soweit dies auf einer Änderung des DBA mit Spanien zum 1.1.2013 beruht. Gegenstand der Entscheidung ist eine Sociedad Limitada (S.L.), eine Kapitalgesellschaft spanischen Rechts, deren einziger Vermögensgegenstand eine auf Mallorca gelegene Ferienimmobilie ist. Sämtliche Anteile an der S.L. werden von in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen und ansässigen Personen gehalten. Eine gängige Gestaltung, um Steuern in Spanien zu reduzieren. 

Hintergrund

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG ist bei einer natürlichen Person § 17 EStG auch ohne Veräußerung auf den Zeitpunkt anzuwenden, in dem das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG erfasst die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen einer Kapitalgesellschaft (Mindestbeteiligung von 1 % in den letzten fünf Jahren). § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG knüpft die Besteuerung an hier nicht relevante weitere Voraussetzungen.

Streitig war, inwieweit zum 1.1.2013 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des DBA vom 3.2.2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Spanien auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen („DBA-Spanien 2011“, BGBl. II 2012, 19 ff.) ausgeschlossen oder beschränkt wurde. Bis zum 31.12.2012 konnten Gewinne aus der Veräußerung ua. von Anteilen an Kapitalgesellschaften nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Veräußerer ansässig ist (DBA-Spanien 1966, BGBl. II 1968, 9). Damit lag das Besteuerungsrecht für Einkünfte gemäß § 17 EStG ausschließlich bei dem Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners, also Deutschland. Hätte der Kläger unter der Geltung des alten DBA-Spanien 1966 seine Anteile an der S.L. veräußert, hätte er ausschließlich in Deutschland steuerbare und steuerpflichtige Einkünfte erzielt.

Nach Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien 2011 können ab dem 1.1.2013 Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung von Anteilen an einer Gesellschaft erzielt, deren Aktivvermögen zu mindestens 50 von Hundert unmittelbar oder mittelbar aus unbeweglichem Vermögen (hier Immobilie) besteht, das im anderen Vertragsstaat (Spanien) liegt, auch im anderen Staat (Spanien) besteuert werden. Für den Kläger bedeutet dies, dass Gewinne aus einer etwaigen Veräußerung seiner Anteile an der S.L. auch in Spanien besteuert werden können. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung infolge des zugleich fortbestehenden Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland ist die Bundesrepublik zur Anwendung der Anrechnungsmethode verpflichtet, wenn das Königreich Spanien von seinem konkurrierenden Besteuerungsrecht Gebrauch macht (Art. 22 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. ii. DBA-Spanien 2011 iVm. § 34c EStG).

Zum Erhalt der Europarechtskonformität des Entstrickungstatbestands wurde eine erweiterte Stundungsregelung in § 6 Abs. 5 AStG eingefügt, allerdings erst mit dem Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2014 (Zollkodex-Anpassungsgesetz, BGBl I 2014, 2417). Dieses ordnet in § 21 Abs. 23 AStG rückwirkend eine Anwendung auf alle Fälle an, in denen die geschuldete Steuer noch nicht entrichtet ist.

Das FG Köln hatte darüber zu entscheiden, ob der Kläger einen fiktiven Veräußerungsgewinn am 1.3.2013 (Einkommensteuer für das Veranlagungsjahr 2013) zu versteuern hat, obwohl er diesbezüglich selber weder einen Rechts- noch Realakt vorgenommen hatte (sog. „passive Entstrickung“).

Rechtsstreit

Die Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 26. Oktober 2018, IV B 5-S 1348/07/1000201, BStBl I 2018, 1104) und Teile der Kommentarliteratur erachten die „passive Entstrickung“ als vom Wortlaut und vom weiten Gesetzeszweck des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG erfasst. Andere sehen in Anknüpfung an den Wortlaut keinen „Ausschluss“ oder eine „Beschränkung“, wenn die Bundesrepublik Deutschland in eigener Souveränität Besteuerungsrechte ohne Mitwirkungshandlung des Steuerpflichtigen in völkerrechtlichen Verträgen neu zuordnet und aufgibt. Eine weitere Ansicht sieht es generell als verfassungsrechtlich bedenklich an, dass mit dem Inkrafttreten eines neuen DBA (hier: DBA Spanien zum 1. Januar 2013) in abgeschlossene Steuertatbestände iSd. § 38 AO eingegriffen wird (siehe hierzu und zum Vorhergehenden Pohl in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 6 AStG Rz. 55 ff. mwN., (3/2021)). Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex ist bislang – soweit ersichtlich – noch nicht ergangen.

Entscheidung des FG Köln

Das FG lässt ausdrücklich dahinstehen, ob § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG überhaupt eine „passive Entstrickung“ durch Abschluss eines geänderten DBA ohne Mitwirkungsakt des Steuerpflichtigen erfasst und ob dies verfassungsrechtlich zulässig ist. Es ist mit dem Vortrag des Klägers der Ansicht, dass die Regelung vor Einführung der Stundungsregelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG in Bezug auf das DBA-Spanien 2011 jedenfalls europarechtswidrig ist. Zum einen dürfe es für die rückwirkende Stundung – entgegen dem Wortlaut des § 21 Abs. 23 AStG – nicht darauf ankommen, ob die geschuldete Steuer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zollkodex-Anpassungsgesetzes  am 31.12.2014 noch „nicht entrichtet“ sei. Zum anderen läge jedenfalls eine echte und damit verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung der Stundungsregelung vor. Ohne eine solche zum im Veranlagungszeitpunkt 2013 geltende Stundungsregelung sei die „passive Entstrickung“ europarechtswidrig. 

Praxishinweise

Das Urteil des FG Köln vom 17.6.2021 wirkt über den Fall hinaus für sämtliche passive Entstrickungen, die aufgrund des DBA-Spanien 2011 durch § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG erfasst sind. Für sämtliche Fälle trat die Entstrickung zum 1.1.2013 ein. Zu diesem Zeitpunkt bzw. zum Zeitpunkt der Entstehung der Einkommensteuer des Veranlagungsjahres bestand keine verfassungskonforme Stundungsregelung. Das FG Köln lässt die Revision zum BFH zu. Dass die Finanzverwaltung diesen Weg geht, ist eher unwahrscheinlich. Das FG Köln stützt seine Entscheidung nicht nur auf die dargestellte materielle Beurteilung. Es versagt vielmehr die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 2013 auch aus verfahrensrechtlichen Überlegungen. Der dem Kläger zugegangene ursprüngliche Einkommensteuerbescheid enthielt keinen Vorbehalt der Nachprüfung, dieser wurde erst später auf Direktive der OFD NRW eingefügt. Dem Vortrag des Finanzamts, der Einkommensteuerbescheid sei aufgrund einer internen Aufgabe des Bekanntgabewillens nicht wirksam geworden, folgte das FG Köln nicht (auch insoweit ist das Urteil lesenswert). Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Tatsachenfeststellungen, die im Regelfall einer Überprüfung durch den BFH entzogen sind. 

Dennoch sollte der vom Kläger gewählten Gestaltung mit Vorsicht begegnet werden: Es besteht die Gefahr verdeckter Gewinnausschüttungen, wenn die Gesellschafter der S.L. keine angemessenen Mietzahlungen für die Nutzung der Ferienimmobilie leisten (vgl. FG Hessen vom 14.12.2020 – 9 K 1266/17, EFG 2021, 377, Rev. BFH VIII R 4/21; BFH vom 27.07.2016  I R 12/15, BStBl. II 2017, 217).

Dr. Heinz-Willi Kamps
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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