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Nichts ist unmöglich, insbesondere nicht die Besteuerung des Nichts (Scheinrenditen aus Schneeballsystemen)

Wer kennt es nicht, das Schneeballsystem? Gib mir 5 € und suche dir Zwei, die dir 5 € geben. Schon immer werden Kapitalanleger mit Schneeballsystemen betrogen. Die Gier treibt den Anleger in die Arme des Betrügers. Das System beruht darauf, dass Renditen versprochen werden, die gar nicht erwirtschaftet werden können. Es bedingt das unerlässliche Anwerben von Neuanlegern. Deren eingezahlte Gelder werden verwendet um Anleger, die ihre Rendite oder ihr Kapital einfordern, auszuzahlen. Es wird der Anreiz gesetzt, die Renditen „stehen zu lassen“. Im ersten Jahr gibt es 3 %, für stehengelassenes Kapital im zweiten Jahr 5 %. Werden nicht mehr ausreichend Neuanleger geworben, um die Auszahlungen zu finanzieren, bricht das System zusammen. Das Kapital verloren zu haben ist Strafe genug, könnte man denken. Dem ist nicht so. Kann der Anleger nicht nachweisen, dass er im Zeitpunkt der jeweiligen Gutschrift seiner Rendite, diese nicht hätte einfordern können, gehen Finanzverwaltung und Finanzrechtsprechung vom steuerpflichtigen Zufluss aus. Dies führt dazu, dass Anleger, die ihre Renditen haben stehen lassen, diese versteuern müssen, obgleich sie im Ergebnis weder ihre Rendite ausgezahlt noch ihr Kapital zurückgezahlt bekommen, wenn das System zusammengebrochen ist. Nicht selten leitet die Finanzverwaltung gar Steuerstrafverfahren auch gegen die Anleger ein. 

Einkünfte aus Kapitalvermögen iSv. § 20 EStG sind steuerlich in dem Zeitpunkt zu erfassen, in dem sie nach § 11 EStG zugeflossen sind. Unter Zufluss wird im Wesentlichen die Verfügungsgewalt über den Kapitalertrag verstanden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kapitalertrag tatsächlich erwirtschaftet, legal erwirtschaftet oder – wie bei Schneeballsystemen – vorgetäuscht und das eingezahlte Kapital anderer Anleger ausgezahlt wird. Symptomatisch für die Schneeballsysteme ist aber nicht, dass den Anlegern das Geld tatsächlich ausgezahlt wird, sondern dass die Anleger aufgrund der versprochenen jeweils steigenden Renditen das Kapital stehen lassen und ihnen ihre jährlichen Erträge „nur gutgeschrieben“ werden. Bei einer bloßen Gutschrift in den Büchern des Schuldners kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH für einen Zufluss nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG darauf an, dass der Gläubiger (Anleger) nach den gesamten Umständen des Einzelfalls davon ausgehen durfte, dass er statt des „Stehenlassens“ des gutgeschriebenen Betrags oder der „Novation“ die Auszahlung hätte verlangen können. Für den Nachweis, dass der Anleger davon nicht ausgegangen ist, verlangt die Rechtsprechung den vom Anleger zu erbringenden Beweis dafür, dass im Zeitpunkt der Gutschrift der Anleger das Kapital nicht hätte erfolgreich einfordern können. Dies ist in der Praxis für den Anleger kaum möglich, jedenfalls nicht bis die Einforderung der Auszahlung tatsächlich fehlgeschlagen oder eine Insolvenzreife bekanntgeworden ist. 

Entlastung kommt durch ein nunmehr veröffentlichtes Urteil des BFH (vom 29.9.2020 VIII R 17/17) für die Anleger, die in einem solchen System ihre Rendite tatsächlich eingefordert haben und davon ausgehen durften, dass der betrügerische Vermögensverwalter die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt hat. Selbst wenn die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt wurde, können die Kapitalerträge beim Anleger nicht in die Besteuerung einbezogen werden, wenn er davon ausgehen durfte, dass die Kapitalertragsteuer nicht nur einbehalten, sondern auch ordnungsgemäß an das Finanzamt abgeführt wurde. Die von den Anlegern erzielten Scheinrenditen sind nicht nach § 2 Abs. 5b EStG in die Einkunftsteuerfestsetzung einzubeziehen, wenn aufgrund des Einbehalts der Kapitalertragsteuer die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG eintritt.

Nach Auffassung des BFH ist es dazu nur erforderlich, dass die Kapitalertragsteuer einbehalten wird. Nicht erforderlich ist, dass die Kapitalertragsteuer auch tatsächlich an das Finanzamt angemeldet und abgeführt wird. Die Abgeltungswirkung tritt auch dann ein, wenn die Kapitalerträge aus Scheinrenditen aus Sicht des Anlegers durch den Steuerabzug der Kapitalertragsteuer unterliegen und die Voraussetzungen für den Ausschluss der Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 iVm. § 44 Abs. 1 Sätze 10 und 11 und § 34 Abs. 5 Satz 2 EStG nicht vorgelegen haben. Voraussetzung für den Eintritt der Abgeltungswirkung ist danach allein der Steuerabzug. Der Wortlaut von § 34 Abs. 5 Satz 1 EStG stellt weder auf die Anmeldung der Kapitalertragsteuer nach § 45a EStG noch auf deren Abführung nach § 44 EStG ab. 

Gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG wird der Gläubiger die Kapitalerträge nur in Anspruch genommen haben, wenn der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle oder die Kapitalerträge auszahlende Stelle die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat, der Gläubiger weiß, dass der Schuldner die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt. Vertraut der Anleger hingegen darauf, dass der Schuldner der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt hat, tritt die Abgeltungswirkung ein. Dies hat nicht nur Bedeutung im Zusammenhang mit Schneeballsystemen. 

Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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