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Neue EuGH-Vorlage zum Vorsteuerabzug einer Funktionsholding

Der Dauerstreit über die Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG von Holdinggesellschaften geht in die nächste Runde: Der BFH hat mit Vorlagebeschluss vom 23.9.2020 (XI R 22/18, DStR 2021, 346) den EuGH angerufen (Az.: C-98/21). Zur Überprüfung steht die Reichweite der Vorsteuerabzugsberechtigung einer Funktionsholding, deren Tochtergesellschaften steuerfreie Umsätze erbringen. Es droht eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs. Für betroffene Steuerpflichtige und deren Berater besteht bereits jetzt Handlungsbedarf. 

Grundzüge

Holdinggesellschaften sind in der Regel nur dann zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit sie als Funktionsholding (auch Führungsholding oder geschäftsleitende Holding genannt) agieren. Dies setzt voraus:

1.Die Holding beschränkt sich nicht nur auf den Erwerb, das Halten und die Veräußerung von Beteiligungen. Sie muss vielmehr mittelbar oder unmittelbar in die Verwaltung bzw. in das operative Geschäft der Tochtergesellschaften geschäftsleitend eingreifen und gegenüber den Tochtergesellschaften entgeltliche Leistungen erbringen, die - vereinfacht - umsatzsteuerpflichtig sind. 

2. Solche entgeltlichen Leistungen sind zB die Erbringung von administrativen, buchführerischen, finanziellen, kaufmännischen, der Informatik zuzuordnenden oder technischen Dienstleistungen oder auch Geschäftsführungsleistungen. 

3. Die Eingangsleistungen der Holding müssen ferner in einem bestimmten Zusammenhang mit entsprechenden steuerpflichtigen Umsätzen an die Tochtergesellschaft  (Ausgangsleistungen) stehen: entweder  dienen die Eingangsleistungen direkt und  unmittelbar der Erbringung der Ausgangsleistungen oder es handelt sich um Allgemeinkosten der Holding. Dies ist bei einer Funktionsholding regelmäßig gegeben. Soweit die Funktionsholding nicht als solche gegenüber allen Tochtergesellschaften agiert (sog. gemischte Holding), kann der Vorsteuerabzug ganz oder anteilig entfallen.

Streitfrage

Dem Vorlagebeschluss des BFH vom 23.9.2020 liegt folgender Streitfall zugrunde: Eine Funktionsholding erbringt gegenüber ihren Tochtergesellschaften sowohl umsatzsteuerpflichtige Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen als auch unentgeltliche Gesellschafterbeiträge. Denen liegen vorsteuerbelastete Eingangsleistungen zugrunde, die die Holding von Dritten bezieht. Die Tochtergesellschaften erbringen nur steuerfreie Umsätze, im Entscheidungsfall nach § § 4 Nr. 9 Buchst. a) UStG aus der Veräußerung von Immobilien.  

Der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen zu den umsatzsteuerpflichtigen Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen ist  unstreitig. Streitig ist der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen für die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge. Das Niedersächsische Finanzgericht revidierte zwar die Versagung des Vorsteuerabzugs durch das Finanzamt mit Urteil vom 19.4.2018 5 K 285/16, EFG 2019, 653. Es ließ jedoch die Revision zum BFH zu, wovon das Finanzamt Gebrauch machte. 

Systemwidrige Gestaltung? 

Der BFH geht zwar mit dem Finanzgericht davon aus, dass nach den oben genannten Grundsätzen die Vorsteuerabzugsvoraussetzungen eigentlich erfüllt sind. Denn es handelt sich um Allgemeinkosten einer Funktionsholding, die mangels Vorliegen einer gemischten Holding keinen Bezug zu einem nichtunternehmerischen Bereich hat. Gleichwohl meldet der BFH Zweifel an, ob dies nicht systemwidrig ist. Denn eine solche Zwischenschaltung einer Funktionsholding ermöglicht einen Vorsteuerabzug ohne Weiterbelastung der Umsatzsteuer (im Wege der Einlage) an die Tochtergesellschaft. Ein solcher Vorsteuerabzug bestünde nicht, wenn die Tochtergesellschaft die Eingangsleistung direkt ohne Zwischenschaltung der Führungsholding von einem Dritten bezogen hätte. Der BFH bittet daher den EuGH um Klärung und scheint offenbar nach Wegen zu suchen, den Vorsteuerabzug zu versagen, zB mit der Argumentation einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung nach § 42 AO.

Was tun?

Mit der Veröffentlichung des Vorlagebeschlusses des BFH in der DStR bestehen nicht nur Zweifel, sondern auch Haftungsrisiken für Berater, ob die bisherige Gestaltungsmöglichkeit der Zwischenschaltung einer Funktionsholding tatsächlich zum gänzlichen Vorsteuerabzug beim Leistungsbezug für Tochtergesellschaften mit steuerfreien Umsätzen verhilft, insbesondere in der Bau-, Finanz- und Versicherungsbranche. Daher ist es ratsam, entsprechende Strukturen und alternative Gestaltungsmöglichkeit zu prüfen, zB eine umsatzsteuerliche Organschaft oder ein  sog. Aufwandspool jeweils zwischen der Funktionsholding und ihren Tochtergesellschaften, um Leistungen ohne Umsatzsteuerbelastung austauschen zu können. Nur im Gemeinwohlbereich (zB im Bereich der Humanmedizin, Kranken-, Alten- oder Behindertenpflege, der Erwachsenen- und Kinderbildung, der Arbeitsvermittlung, der Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen, der Kultur und des Sports) kommt ggf. alternativ auch eine Kostenteilungsgemeinschaft nach § 4 Nr. 29 UStG in Betracht. 

Dr. Jörg Alvermann
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Sportrecht
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Cristian Esteves Gomes
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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