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Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen – Regierungsentwurf zum Wachstumschancengesetz

Zum 1.1.2020 führte der Gesetzgeber – veranlasst durch die Amtshilferichtlinie (DAC-6) der Europäischen Union – eine Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen ein (§§ 138d - 138k AO). Noch immer ein Beispiel für schlechte Gesetzgebung: Die Mitteilungspflicht verpflichtet ua. Rechtsanwälte und Steuerberater als sog. Intermediäre dazu, völlig legale Steuergestaltungen anzuzeigen. Die Ausgestaltung schießt über das Regelungsziel, rein aggressive Steuergestaltungen zu erfassen, hinaus. Sie erfasst auch bekannte und anerkannte Beratungssituationen. Zudem operieren die Regelungen zur Mitteilungspflicht mit einer Fülle von unbestimmten Rechtsbegriffen. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund der drohenden Sanktionen (Bußgeld iHv. bis zu € 25.000,-- pro Verstoß) bedenklich. Die komplexe Prüfung der Mitteilungspflicht verursacht – unabhängig von ihrem Ergebnis – auch einen immensen Arbeitsaufwand bei den Beraterinnen und Beratern. 

Dessen ungeachtet hat sich die Bundesregierung im Gesetzesentwurf zum sog. Wachstumschancengesetz (BR-Drs. 433/23) am 30.8.2023 darauf verständigt, die bußgeldbewährte Mitteilungspflicht auf rein innerstaatliche Fallkonstellationen auszuweiten. Dazu soll die Abgabenordnung um die §§ 138l - 138n erweitert werden. Konzeptionell soll die Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen an die Regelungen für grenzüberschreitende Fälle anknüpfen:

I. Persönlicher Anwendungsbereich

Primär wird der sog. Intermediär zur Mitteilung verpflichtet. Intermediär ist, wer eine Steuergestaltung vermarktet, zur Nutzung bereitstellt, konzipiert, organisiert oder die Umsetzung verwaltet, § 138m Abs. 1 AO-E. Sekundär kann die Mitteilungspflicht auch den Steuerpflichtigen als sog. Nutzer treffen, bspw. wenn er die Gestaltung selbst konzipiert, 
§ 138m Abs. 2 AO-E. Unterliegt der Intermediär einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht (bspw. nach § 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO oder § 57 Abs. 1 StBerG) und wird er vom Nutzer trotz entsprechendem Hinweis nicht von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreit, geht die Mitteilungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen partiell auf den Nutzer über, § 138m Abs. 3 AO-E.  In diesem Fall hat der Intermediär eine mit Blick auf die Person des Nutzers anonymisierte Mitteilung zu tätigen. Die Pflicht, personenbezogene Daten des Nutzers offenzulegen, trifft dann – ergänzend zur anonymisierten Mitteilung des Intermediärs den Nutzer selbst. In jedem Fall soll der Nutzer verpflichtet werden, die von ihm verwirklichte Steuergestaltung in der Steuererklärung anzugeben, § 138m Abs. 2 AO-E.    

II. Begriff der mitteilungspflichtigen innerstaatlichen Steuergestaltung

Mitteilungspflichtig sollen innerstaatliche Steuergestaltungen nach § 138l Abs. 2 Nr. 2 AO-E nur sein, wenn sie eine
 
•    Steuer vom Einkommen oder Vermögen, 
•    die Gewerbesteuer, 
•    die Erbschaft- oder Schenkungsteuer oder 
•    die Grunderwerbsteuer 

zum Gegenstand haben. Der Begriff der Steuergestaltung soll – wie auch im grenzüberschreitenden Bereich – keinen Einschränkungen unterliegen und weit verstanden werden. Komplexe Restrukturierungen fallen ebenso unter das weite Begriffsverständnis wie die Heirat zur Nutzung des Splittingtarifs oder die Kettenschenkung. 

Um mitteilungspflichtig zu sein, muss die innerstaatliche Steuergestaltung ua. mindestens ein gesetzlich vorgegebenes Kennzeichen erfüllen, § 138l Abs. 2 Nr. 3 AO-E. Positiv ist, dass die Verwirklichung eines Kennzeichens allein die Mitteilungspflicht im reinen Inlandsfall noch nicht auslösen soll. Zusätzlich muss zumindest einer der Hauptvorteile der Gestaltung in der Erlangung eines steuerlichen Vorteils liegen (sog. Main-Benefit-Test), 
§ 138l Abs. 2 Nr. 4 AO-E. Dies ist bei grenzüberschreitenden Gestaltung zum Teil anders. Dort kann bereits die Verwirklichung bestimmter Kennzeichen genügen.

Für innerstaatliche Gestaltungen relevante Kennzeichen benennt § 138l Abs. 3 AO-E. Sie lehnen teilweise an die Kennzeichen für grenzüberschreitende Gestaltungen an. Folgende Kennzeichen sind zu prüfen: 

•    Vertraulichkeit
Besteht für eine der beteiligten Personen die Pflicht, eine Vertraulichkeitsklausel einzuhalten, die eine Offenlegung dessen, auf welche Art und Weise aufgrund der Gestaltung ein steuerlicher Vorteil erlangt wird, gegenüber anderen Intermediären oder den Finanzbehörden verbietet?

•    Honorar
Besteht ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Vergütung und der Erlangung des steuerlichen Vorteils?

•    Standardisierung
Ist die Dokumentation oder Struktur der Gestaltung standardisiert und für mehr als einen Nutzer verfügbar, ohne dass sie für die Nutzung wesentlich individuell angepasst werden muss? Hierbei handelt es sich uE um ein in hohem Maße unbestimmtes Kennzeichen, dessen Anwendungsbereich auszuufern droht.

•    Verlustnutzung
Hat die Gestaltung zum Gegenstand, dass ein Beteiligter unangemessene rechtliche Schritte unternimmt, um ein verlustbringendes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar zu erwerben, die Haupttätigkeit dieses Unternehmens zu beenden und dessen Verluste dafür zu nutzen, seine Steuerbelastung zu verringern?

•    Umwandlung von Einkünften
Werden Einkünfte in Vermögen, Schenkungen oder andere nicht oder niedriger besteuerte Einnahmen oder nicht steuerbare Einkünfte umgewandelt?

•    Zirkuläre Transaktionen
Hat die Gestaltungen zum Gegenstand, dass Transaktionen durch die Einbeziehung zwischengeschalteter Unternehmen, die keine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, oder Transaktionen, die sich gegenseitig aufheben oder ausgleichen, für zirkuläre Vermögensverschiebungen genutzt werden?

•    Mehrfache Zuordnung
Wird derselbe steuererhebliche Sachverhalt mehreren Nutzern oder anderen Steuerpflichtigen oder einem Nutzer oder Steuerpflichtigem mehrfach zugeordnet? 

•    Verluste und steuerfreie Einkünfte
Werden durch aufeinander abgestimmte Rechtsgeschäfte zweckgerichtet steuerwirksame Verluste und ganz oder teilweise steuerfreie Einkünfte erzeugt?

•    Kapitalertragsteuer
Hat die Gestaltung zum Gegenstand, dass ein an der Gestaltung Beteiligter unangemessene rechtliche Schritte unternimmt, um für sich oder einen Dritten einen steuerlichen Vorteil im Bereich des Steuerabzugs vom Kapitalertrag zu erzeugen?

Wie auch bei grenzüberschreitenden Fällen soll das BMF ermächtigt werden, Fallgruppen zu bestimmen, welche nicht mitzuteilen sind, weil der Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist. Im grenzüberschreitenden Bereich hat diese sog. White List bislang die Erwartungen der Praxis nicht erfüllt. Das BMF listet weitgehend Selbstverständliches auf (bspw. Nutzung von Freigrenzen und Freibeträgen, Ausübung steuerlicher Wahlrechte oder die Errichtung einer Organschaft).  

III.    Größenanforderungen

Anders als im grenzüberschreitenden Bereich soll die Mitteilungspflicht nach § 138l Abs. 5 AO-E nur greifen, wenn bestimmte Größenkriterien überschritten sind. So soll der Anwendungsbereich ua. dann eröffnet sein, wenn in mindestens zwei der letzten drei Jahre 

•    die umsatzsteuerbaren Umsätze des Nutzers mehr als € 50 Mio. betrugen, 
•    die Einkünfte iSd. EStG € 2 Mio. überschritten, oder 
•    das Einkommen iSd. KStG (zzgl. nach § 8b KStG steuerfreier Beträge) über € 2 Mio. lag.

Bei Konzernen iSv. § 18 AG soll auf die Summe der Umsätze, Einkünfte oder Einkommen der Konzerngesellschaften insgesamt abgestellt werden (negative Ergebnisse einzelner Konzerngesellschaften sind bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen). Wird der Nutzer von einer im Ausland ansässigen Person beherrscht, sollen die Größenanforderungen nicht gelten. Investmentfonds und ihre Anleger unterliegen verschärften Anforderungen. 
 
Im Anwendungsbereich des ErbStG soll eine Mitteilungspflicht nur greifen, wenn der Wert des übertragenen Vermögens nach Abzug von Nachlassverbindlichkeiten und Lasten mindestens € 4 Mio. beträgt. Hat die Gestaltung die Übertragung von Anteilen an einer Grundbesitz haltenden Gesellschaft zum Gegenstand, muss der Grundbesitzwert € 5 Mio. übersteigen.   

IV.    Zeitliche Anwendbarkeit

Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs soll gem. Art. 97 § 33 Abs. 7 EGAO-E das BMF ermächtigt werden, den erstmaligen Anwendungszeitpunkt der neuen Mitteilungspflichten durch ein BMF-Schreiben zu bestimmen. Zwischen der Bekanntmachung des BMF-Schreibens und dem erstmaligen Anwendungszeitpunkt soll ein Zeitraum von mindestens einem Jahr liegen.

V.    Fazit

Der Ansatz der Bundesregierung zur Implementierung einer innerstaatlichen Gestaltung erfassenden Mitteilungspflicht ist – ungeachtet der Größenanforderungen und des für sämtliche Kennzeichen vorgesehenen Erfordernisses eines Steuervorteils – bedenklich. Der zusätzliche Arbeitsaufwand, sich mit der komplexen Materie zu befassen, trifft alle Beraterinnen und Berater unabhängig davon, ob sie tatsächlich dem Anwendungsbereich unterfallen werden. Angezeigt erscheint es vielmehr, den effektiven Mehrwert der Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen auf den Prüfstand zu stellen. Das weitere Gesetzgebungsverfahren bleibt abzuwarten. 

Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Eugen Mehlhaf
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
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