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Kapitalwert lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen

I.    Werden Grundstücke zu Lebzeiten übertragen, erfolgt dies oftmals unter Nießbrauchvorbehalt. Hierdurch ist es möglich, frühzeitig Vermögen auf die nächste Generation zu übertragen, während dem Zuwendenden die Erträge verbleiben. Ferner mindert der Wert des Nießbrauchrechts den für die Schenkungsteuer relevanten Wert der Zuwendung. 

II.    Für die Bewertung von lebenslänglichen Leistungen und Nutzungen – wie dem Nießbrauch – gilt grundsätzlich ein pauschalisierendes Verfahren. Maßgeblich ist die Wertermittlung im Zeitpunkt der Durchführung der Schenkung (§ 11 ErbStG). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BewG ist der Kapitalwert von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen mit dem Vielfachen des Jahreswerts anzusetzen. Die Vervielfältiger sind nach der Sterbetafel des Statistischen Bundesamts zu ermitteln (§ 14 Abs. 1 Satz 2 BewG). Diese knüpft nicht an die tatsächliche, sondern an eine auf den Stichtag prognostizierte Laufzeit an.

III.    Der vorgenannte Wert kann allerdings korrigiert werden, wenn die tatsächliche Dauer der Nutzungen und Leistungen wesentlich kürzer ist als die nach der unterstellten Lebenserwartung zugrunde gelegte Laufzeit und dies auf dem Tod des Berechtigten oder Verpflichteten beruht (§ 14 Abs. 2 BewG). Die Vorschrift möchte unbillige Härten vermeiden (SCHAFFNER in Kreutziger/Schaffner/Stephany, BewG, 5. Aufl., 2021, § 14 Rz. 7).

IV.    Im Verfahren des BFH (vom 17.5.2023 II B 82/22, nv.) kritisierte der Kläger das vorgenannte Bewertungsmodell. Aus dem Zusammenwirken von § 14 Abs. 1 und 2 BewG ergebe sich eine doppelte Berücksichtigung des Sterbefallrisikos. In die Sterbetafel gingen auch die für § 14 Abs. 2 BewG relevanten Fälle eines frühzeitigen Versterbens ein. Die sich hieraus ergebende geringere Lebenserwartung führe zu einem niedrigeren Vervielfältiger. Ein Versterben im Korrekturzeitraum werde ebenfalls iRv. § 14 Abs. 2 BewG berücksichtigt und führe – oftmals zum Nachteil des Steuerpflichtigen – zu einer Bewertung nach der tatsächlichen Dauer. Deshalb seien, so der Kläger, diese Fälle aus der Sterbetafel herauszurechnen. Durch die damit statistisch höhere Lebenserwartung ergebe sich ein höherer Vervielfältiger. 

V.    Dem folgt der BFH nicht. Er hat klargestellt, dass eine Korrektur der vorgenannten Berechnungen mit Blick auf etwaige Ungenauigkeiten bei der Ermittlung der statistischen Lebenserwartung nicht möglich ist. Es sei unzulässig, die gesetzliche Typisierung durch eine abweichende Berechnungsgrundlage zu ersetzen. § 14 BewG enthalte eine detaillierte und unmissverständliche Regelung für die Berechnung des Kapitalwerts von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen (BFH vom 17.5.2023 II B 82/22, nv.). Es erfolge keine Doppelerfassung, weil die Modelle nicht gleichzeitig angewendet werden können (vgl. auch MANNEK in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl., 2020, § 14 BewG Rz. 42). Der Entscheidung des BFH ist zuzustimmen. 

VI.    Praxishinweis: Die Bewertung des Nießbrauchrechts nach der tatsächlichen Nutzungsdauer erfolgt, wenn sie sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, nur auf Antrag (§ 14 Abs. 2 Satz 2 BewG). Dieser ist bis zum Ablauf des Jahres zu stellen, das auf den Tod des Berechtigten oder Verpflichteten folgt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 BewG). Dies erfordert eine ständige Überwachung durch den Berater. Hingegen bedarf es bei Wegfall einer Last zur Berichtigung der Bewertung keines Antrags des Steuerpflichtigen; die Berichtigung erfolgt von Amts wegen (§ 14 Abs. 2 Satz 3 BewG). Die Überwachung eines vorzeitigen Wegfalls von Lasten obliegt der Finanzverwaltung (GLE vom 7. 12. 2017, BStBl. I 2018, 58, Tz. 4.1. Buchst. g; EISELE in Rössler/Troll, 35. EL, BewG § 14 Rz. 23 (Sept. 2022)).

Dr. Torben Gravenhorst
Rechtsanwalt
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Dr. Jens Stenert
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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