Der Zehnt Aktuell

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Inkrafttreten der Stiftungsrechtsreform zum 1. Juli 2023

Am 1. Juli 2023 ist die langersehnte Stiftungsrechtsreform – genauer: das Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts (BGBl. 2021, 2947 ff.) – in Kraft getreten. Der Bund hat insofern von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) abschließend Gebrauch gemacht, die Landesgesetzgeber haben demnach keine entsprechende Gesetzgebungskompetenz mehr (Art. 72 Abs. 1 GG). Es ist die umfassendste Reform des Stiftungsprivatrechts seit Kodifizierung der rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts. Mit ihr wird das bisherige Landesstiftungsrecht erstmals durch ein bundeseinheitliches Stiftungsrecht ersetzt. 

Bisherige Problemstellung
Bislang beruhte das materielle Stiftungsprivatrecht sowohl auf Bundes- als auch auf Landesrecht. Die zivilrechtlichen Regelungen über Stiftungen in den §§ 80 ff. BGB aF wurden durch zivilrechtliche Vorschriften in den Landesstiftungsgesetzen ergänzt. Allerdings waren die einzelnen Landesstiftungsgesetze – dem Föderalismus geschuldet – größtenteils heterogen und uneinheitlich ausgestaltet, so dass sich Stiftungen in den einzelnen Bundesländern (mitsamt der Anerkennungs- und Aufsichtspraxis) mitunter deutlich unterschieden haben. Diese durch das Nebeneinander von Bundes- und Landesrecht entstandene Rechtszersplitterung führte bei Stifter:innen und Stiftungen zu Rechtsunsicherheiten und immer wieder zu Streitfragen mit den landesrechtlichen Stiftungsaussichtsbehörden.

Zudem existiert für Stiftungen – anders als für andere juristische Personen des Privatrechts (hier: Vereins- und Handelsregister) – bisher kein Register mit Publizitätswirkung, sondern nur Stiftungsverzeichnisse, die bei den Landesstiftungsbehörden geführt werden. Stiftungen benötigen derzeit ferner behördliche Vertretungsbescheinigungen, um die Vertretungsmacht der Vorstandsmitglieder im Rechtsverkehr gegenüber Dritten nachzuweisen.

Hauptziele der Stiftungsrechtsreform
Davon ausgehend verfolgt die Stiftungsrechtsreform insbesondere zwei Hauptziele:

•    Abschließende Regelung und Vereinheitlichung des Stiftungszivilrechts (Entstehung; Stiftungsorganisation und Haftung; Stiftungsvermögen; Satzungsänderungen; Zulegung, Zusammenlegung und Auflösung; Stiftungsregister) in den §§ 80 bis 88 BGB nF (Schaffung von Rechtssicherheit)

•    Implementierung eines zentralen Stiftungsregisters mit Publizitätswirkung unter der Federführung des Bundeamts der Justiz (Schaffung von Transparenz und Erleichterung des rechtsgeschäftlichen Handelns)

Wesentliche Eckpunkte der Reform:

1.    Satzungsänderungen in drei verschiedenen Kategorien mit steigenden Anforderungen (§§ 85, 85a BGB nF):

  • Änderungen nicht prägender Satzungsbestimmungen (§ 85 Abs. 3 BGB nF), 
  • Änderungen prägender Satzungsbestimmungen (§ 85 Abs. 2 BGB nF) und 
  • Änderungen des Stiftungszwecks (§ 85 Abs. 1 BGB nF)

Faustformel: Je stärker die Satzungsänderungen in die Stiftungsverfassung eingreifen und die Stiftung verändern, desto strenger sind die Voraussetzungen für Satzungsänderungen. Jedoch können bei Stiftungserrichtung auch davon abweichende, individuelle Regelungen zur Satzungsänderung getroffen werden (§ 85 Abs. 4 BGB nF).

2.    Änderung einer Ewigkeitsstiftung in eine Verbrauchsstiftung (§ 85 Abs. 1 Satz 4 iVm. Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 BGB nF)

3.    Stiftungsvermögen (§ 83b BGB nF): Das Gesetz unterscheidet zwischen:

Grundstockvermögen. Hierzu gehört:

  • das bei Errichtung der Stiftung gewidmete Vermögen,
  •  spätere Zustiftungen und 
  • das sonstige Vermögen, das von der Stiftung zu Grundstockvermögen bestimmt wurde.

und dem sonstigen Vermögen. 

Das Grundstockvermögen ist ungeschmälert zu erhalten. Umschichtungsgewinne können (auch ohne Satzungsregelung) für die Erfüllung des Stiftungszwecks verwendet werden (§ 83c Abs. 1 BGB nF)

4.    Reduzierung des Haftungsrisikos für Stiftungsorgane (ähnlich wie für den Vorstand einer AG nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) mit der gesetzlichen Implementierung der Business Judgement Rule (§ 84a Abs. 2 Satz 3 BGB nF): Danach liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Mitglied des Organs bei der Geschäftsführung unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Vorgaben vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Stiftung zu handeln.

5.    Zulegung und Zusammenlegung (§§ 86 ff. BGB nF) sowie Auflösung von Stiftungen (§§ 87 ff. BGB nF): 

  • Entgegen des RefE genügt erfreulicherweise für die Zulegung nach § 86 Nr. 2 BGB nF, dass der Zweck der übertragenden Stiftung im Wesentlichen mit einem Zweck der übernehmenden Stiftung übereinstimmt (dh. eine Zweckentsprechung ist nicht erforderlich!).
  • Die Vorschriften über die Zulegung und Zusammenlegung in §§ 86 ff. BGB nF sind zwingend und können daher nicht durch die Satzung erleichtert werden.

6.    Einführung eines bundesweiten zentralen Stiftungsregisters mit negativer Publizitätswirkung zum 1. Januar 2026 unter der Führung des Bundesamts für Justiz (vgl. §§ 82b-d, 84d, 85b, 86i, 87d BGB nF).

7.    Nach Eintragung in das Stiftungsregister hat die Stiftung ihren Namen mit dem Zusatz „eingetragene Stiftung“ oder mit der Abkürzung „e. S.“ zu führen. Die Verbrauchsstiftung hat mit der Eintragung den Zusatz „eingetragene Verbrauchsstiftung“ oder die Abkürzung „e. VS.“ zu führen (vgl. § 82c BGB nF).

 

Praxishinweis
Das materielle Stiftungsprivatrecht ist nunmehr abschließend und einheitlich in den §§ 80 bis 88 BGB nF geregelt. Eine Evaluierung der Stiftungsrechtsreform soll im Jahr 2025 stattfinden (BT-Drs. 19/31118, S. 8). Die Landesstiftungsgesetze fungieren ab jetzt nur noch als reine öffentlich-rechtliche „Aufsichtsgesetze“, die sich auf Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen der Stiftungsbehörden beschränken dürfen. Auch die landesrechtlich geregelten Stiftungsverzeichnisse werden ab dem 1. Januar 2026 durch das bundesweite Stiftungsregister abgelöst. 

Bislang haben aber noch nicht alle Bundesländer ihre Stiftungsgesetze zum 1. Juli 2023 „bereinigt“ bzw. neue Landesstiftungsgesetze beschlossen. In den folgenden Bundesländern wurden bisher neue Landesstiftungsgesetze (mit Wirkung ab dem 1. Juli 2023) verabschiedet bzw. die entsprechenden Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen:

•    Baden-Württemberg 
•    Brandenburg
•    Bremen
•    Hamburg
•    Hessen
•    Nordrhein-Westfalen
•    Schleswig-Holstein

Gesetzesentwürfe zu neuen Landesstiftungsgesetzen liegen in den folgenden Bundesländern vor:

•    Bayern (v. 18.4.2023, LT-Drs. 18/28505)
•    Mecklenburg-Vorpommern (v. 26.4.2023, LT-Drs. 8/2085)
•    Niedersachsen (v. 2.5.2023, LT-Drs. 19/1299)
•    Sachsen (v. 16.5.2023, LT-Drs. 7/13448)

Bisher keine Gesetzesentwürfe eingereicht haben die fünf Bundesländer:

•    Berlin
•    Rheinland-Pfalz
•    Saarland
•    Sachsen-Anhalt
•    Thüringen

Hinweis: Entgegenstehende Landesstiftungsgesetze (mit noch verbleibenden zivilrechtlichen Regelungen), die noch nicht zum 30. Juni 2023 außer Kraft getreten sind, sind nunmehr nichtig (Art. 72 Abs. 1 und Art. 31 GG).

Das neue Stiftungszivilrecht gilt für alle gegenwärtig bestehenden Stiftungen, also nicht nur für Neugründungen. Übergangsregelungen für Bestandsstiftungen sind nicht vorgesehen (vgl. Art. 229 § 59 EGBGB). Ob und ggf. welche Satzungsanpassungen und -änderungen dennoch für Bestandsstiftungen notwendig oder zweckmäßig sind, lässt sich nicht verallgemeinern, sondern nur im Einzelfall anhand der konkreten Satzung beurteilen. Bestandsstiftungen sollten daher in jedem Fall prüfen (lassen), ob und ggf. inwieweit ihre Satzungen von den neuen gesetzlichen Regelungen abweichen. Daraus kann sich dann mitunter konkreter Handlungsbedarf für eine Satzungsänderung ergeben, gleich ob als Generalüberholung oder lediglich als Feinkorrektur. Aber auch unabhängig davon bietet es sich generell für Bestandsstiftungen und die Stiftungsberatung an, die aktuelle Stiftungsrechtsreform zum Anlass zu nehmen, bereits ältere Satzungen grundlegend an neue stiftungs-, gemeinnützigkeits- und organisationsrechtliche Begebenheiten anzupassen.

Dr. Jörg Alvermann
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Sportrecht
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Dr. Oliver Cremers
Rechtsanwalt
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