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Ist die Hinterziehung von Anti-Dumping-Zöllen wegen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz straffrei? – Zum Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 5.5.2021 (3 KLs 504 Js 2388/18 (juris))

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 5.5.2021 (3 KLs 504 Js 2388/18 (juris)) entschieden, dass die Angeklagten vom Vorwurf der Hinterziehung von Einfuhrabgaben in Form von Anti-Dumping- und Ausgleichszöllen auf die Einfuhr chinesischer Solarmodule freigesprochen werden. Das Landgericht geht davon aus, dass die strafbarkeitsbegründenden Normen gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 1 StGB verstoßen.

Bereits seit 2013 erhebt die EU gegen die Einfuhr von gedumpten Solarmodulen aus China Anti-Dumping- und Ausgleichszölle. Auch im Hinblick auf weitere aus China stämmige Waren fallen gegebenenfalls sogenannte Anti-Dumping-Zölle an. 

Nach der Legaldefinition von Art. 4 Nr. 20 UZK sind Anti-Dumping- und Ausgleichszölle als für die Einfuhr zu entrichtende Einfuhrabgaben und damit Abgaben. Die Festsetzung erfolgt aufgrund der Angaben in der Zollanmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr. Die Grundlage, Anti-Dumping- und Ausgleichszölle als Abgaben bei der Einfuhr zu erheben, ist Artikel 56 Abs. 1 iVm. Abs. 2 h) UZK. Die entsprechende Zollanmeldung hat alle Angaben und Unterlagen zu enthalten, die erforderlich sind, um die Vorschriften über das Zollverfahren anzuwenden, zu dem die Ware angemeldet wird (Art. 162 UZK). Die entsprechend entstehenden Einfuhrabgaben sind gemäß Artikel 5 Nr. 20 UZK Steuern im Sinne von § 3 Abs. 3 AO, sodass für deren Hinterziehung die allgemeinen Strafvorschriften gelten. Die jeweilige Zollanmeldung stellt dabei eine steuerrechtliche Erklärung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. Der Finanzbehörde gegenüber sind über steuerlich erhebliche Tatsachen vollständige und richtige Angaben zu machen.

Die bislang herrschende Meinung begreift § 370 AO als sogenannte Blankettvorschrift. Dies bedeutet, dass die Norm des § 370 AO aus sich heraus nicht verständlich ist und erst durch das Zusammenlesen mit sogenannten Ausfüllungsnormen zu einer Bestrafung führt. Verweist die einschlägige Steuerstraftat im Wege der Blanketttechnik akzessorisch auf das Steuerrecht, gelten für die in Bezug genommene steuerliche Norm sämtliche Erfordernisse des (strengeren) strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips. Die Rechtsfolge ist für den Steuerpflichtigen eine insofern günstigere, da damit die strengeren Maßstäbe des Strafrechts für das Steuerstrafrecht gelten. 

Das Landgericht Nürnberg-Fürth legt zunächst die sämtlichen (komplexen) rechtlichen Grundlagen dar, welche für die Bestimmung der Anti-Dumping- und Ausgleichszölle im Hinblick auf die Einfuhr chinesischer Solarmodule von Bedeutung sind. Sodann wird auf die Befreiung von Anti-Dumping- und Ausgleichszöllen eingegangen. 

Daran anschließend stellt das Landgericht fest, dass der festgestellte Sachverhalt grundsätzlich geeignet ist, den Tatbestand der §§ 370, 373, 374 AO zu erfüllen. Wegen eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gemäß Artikel 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB scheide eine strafrechtliche Ahndung jedoch aus. 

Denn aus Art. 103 Abs. 2 GG leite sich die Verpflichtung ab, dass sich die Strafbarkeit und die Strafe im Vorhinein aus einem förmlichen Gesetz ergeben müsse und die entsprechenden gesetzlichen Feststellungen hinreichend bestimmt sein müssen. Zwar konstatiert das Landgericht, dass das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden dürfe, da die Gesetze ansonsten zu starr und kasuistisch werden würden und der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden würden; auf der anderen Seite führt es jedoch aus, dass die Beurteilung der Frage, ob der Tatbestand einer Strafnorm „gesetzlich bestimmt“ im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG ist, auch davon abhängen könne, an welchen Kreis von Adressaten sich die Vorschriften wende. 

Insbesondere für Normen, die sich ausschließlich an Personen richten, bei denen aufgrund ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrung bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind und Tatbestände regele, auf die sich solche Kenntnisse zu beziehen pflegen, begegne die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes keine Bedenken, wenn allgemein davon ausgegangen werden könne, dass der Adressatenkreis aufgrund seines Fachwissens imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete Verhaltensanweisungen zu entnehmen (vgl. auch BVerfG vom 29.4.2010 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08; vgl. bereits BGH vom 10.10.2017 1 StR 447/14 sowie zum Ganzen PETERS in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht Rz. 11.20 f.). 

Für die Feststellungen, ob die Tatbestandsmerkmale in objektiver Hinsicht erfüllt sind, stellt das Landgericht auf die VO-Nr. 1238/2013 bzw. VO-Nr. 2017/36 und VO-Nr. 1239/2013 bzw. VO-Nr. 2017/367 als blankettausfüllende Normen ab.

Gemessen an den aufgestellten Voraussetzungen erachtet das Landgericht Nürnberg-Fürth die in Bezug genommenen Verordnungen, welche dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen haben, für zu unbestimmt und führt unter weitergehender Begründung aus, dass es vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Falls zu keiner kausalen Steuerverkürzung kommen konnte. Insbesondere wird moniert, dass die Angeklagten um vertrauliche Dokumente hätten wissen müssen, welche nicht in einem Amtsblatt (oder sonst) veröffentlicht wurden und nur in englischer Sprache vorhanden waren. Ferner wird moniert, dass offizielle Übersetzungen in die übrigen Amtssprachen der EU nicht vorhanden sind. Mithin sei es dem Normadressaten nicht möglich gewesen, von den wesentlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen aus offiziellen Quellen Kenntnis zu nehmen. 

Konsequenterweise verneint das Landgericht im Weiteren auch die Annahme eines untauglichen Versuchs und lehnt auch das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit und darauf basierend die Verhängung eines Bußgelds nach § 30 OWiG ab. 

Beratungshinweis:

Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth stellt in erfreulicher Klarheit fest, dass der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz trotz eingeschränktem Adressatenkreis für jedwede außerstrafrechtlich in Bezug genommene Norm gilt. Selbst wenn man die Vorgaben des BVerfG ernst nimmt, dass sich bestimmte Adressaten steuerlicher Normen über die von ihnen zu erfüllenden Verpflichtungen im Vorhinein kundig zu machen haben, muss zumindest das Auffinden der strafbarkeitsbegründenden Normen aus öffentlich zugänglichen Quellen möglich sein. 

Dabei hilft auch der Hinweis nicht, dass die Code-Nummer für die Einfuhrzollanmeldung bei der Zollbehörde (zolltarifliche Einreihung gemäß Artikel 57 Abs. 1 UZK) und die daraus resultierende Abgaben- bzw. der Einfuhrbedingungen eigenständig zu ermitteln sind und in Deutschland der Elektronische Zolltarif Online (EZT-Online) und der integrierte Tarif der EG (TARIC) als Auskunftssysteme kostenlos im Internet zur Verfügung stehen. Das Vorhandensein entsprechender Onlinetools entbindet den Gesetzgeber nicht von der Pflicht, die strafbarkeitsbegründenden Normen im Vorhinein für jedermann auffindbar und in sprachlich verständlicher Form bekannt zu machen. 

Die gleichen Anforderungen gelten bei Verweisen auf europäisierte (Verbrauch-)Steuergesetze anderer Mitgliedsstaaten. 

Insbesondere im Normenwirrwarr des Zollrechts und auch des internationalen Steuerrechts ist dennoch entsprechende Vorsicht geboten. Denn selbst für den Fall der Annahme eines vermeintlichen Irrtums über die Geltung oder die Reichweite zollrechtlicher Normen, besteht in Zweifelsfällen immer noch die Möglichkeit der verbindlichen Zolltarifauskunft (Art. 33 UZK) sowie die Möglichkeit der unverbindlichen Auskünfte über das Zollrecht (Art. 14 Abs. 1 UZK), sodass etwaige Zweifelsfragen von den Strafverfolgungsbehörden vielfach als lösbar und damit der Irrtum als vermeidbar angesehen wird. 

Von Anti-Dumping- und Ausgleichszöllen Betroffene sollten indes nicht vorschnell die steuerliche Flinte ins Korn werfen, sondern zunächst genau überprüfen, ob die in Bezug genommenen zollrechtlichen Bestimmungen auffindbar sind und sodann dem strengen strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. 
 

Dr. Sebastian Peters
Rechtsanwalt
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