Der Zehnt Aktuell

Mit unserem wöchentlichen Newsletter informieren wir Sie im Bereich Steuerrecht über aktuelle Themen, Entscheidungen und Kanzlei-News.

Newsletter abonnieren >

 

Grunderwerbsteuer: Drohende Doppelbelastung durch neue Erlasse

Neue Mehrfachzurechnung von Grundstücken im Rahmen der Ergänzungstatbestände des § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG

Mit gleichlautenden Erlassen vom 16.10.2023 (S 4501-10-2023-21792-VA6, BStBl. I 2023, 1872, sog. Zurechnungserlass) haben die obersten Finanzbehörden der Länder vor dem Hintergrund aktuell ergangener BFH-Rechtsprechung zur Zurechnung von Grundstücken für die Ergänzungstatbestände in § 1 Abs. 2a-3a GrEStG umfassend Stellung genommen. Im Ergebnis soll demnach eine doppelte Zurechnung sowohl zur „grundbesitzenden Gesellschaft“ als auch zur einer „anderen Gesellschaft“ möglich sein, was zur Doppelerhebung der Steuer führen kann. Aus der erhofften Risikoreduzierung in mehrgliedrigen Strukturen ist somit eine zusätzliche Komplexität einschließlich neuer Risikofaktoren geworden. 

 

I. Vorangegangene Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

Der Bundesfinanzhof hatte zuvor in zwei Urteilen seine bisherige Rechtsprechung ergänzt und allgemeine Grundsätze zur Beurteilung des grunderwerbsteuerlichen Begriffs des „gehören“ aufgestellt (BFH vom 1.12.2021 II R 44/18, BStBl. II 2023, 1009 und vom 14.12.2022 II R 40/20, BStBl. II 2023, 1012). Dieser sei weder zivilrechtlich noch allgemein-steuerrechtlich nach § 39 AO auszulegen, sondern rein grunderwerbsteuerlich. Die resultierenden Grundsätze seien insbesondere auch bei mehrstöckigen Beteiligungen anzuwenden. Im Ergebnis sei eine Mehrfachzuweisung abzulehnen. 

 

II. Neue Stellungnahme der Landesfinanzbehörden

Auf diese vorangegangene Einschränkung im Vergleich zur alten Verwaltungsauffassung haben die Erlassgeber nun mit einer grundsätzlichen Beibehaltung ihrer Rechtsauffassung reagiert. Sie weichen damit von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ab.

Nach den Ausführungen der Finanzverwaltung haben die Tatbestände nach § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG (Fälle von Anteilsübertragungen) Vorrang vor denen nach § 1 Abs. 3 und 3a GrEStG (Fälle von Anteilsvereinigungen). Kommt es zur gleichzeitigen Verwirklichung der Tatbestände, verdrängt die Anteilsübertragung die Varianten der Anteilsvereinigung. 

Dies gelte aber dann nicht, wenn die Anknüpfungspunkte zeitlich auseinanderfallen.

 

III. Folgen für die Steuerpflichtigen

Eine gängige Konstellation ist der zeitliche Versatz zwischen dem Signing und dem sich daran später anschließendem Closing einer Transaktion, das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft geht der dinglichen Erfüllung voraus. Eine hieraus folgende doppelte Belastung könnte über die Korrekturvorschrift des § 16 Abs. 4a in Verbindung mit Abs. 5 S. 2 GrEStG vermieden werden. Folge wäre die Aufhebung der zeitlich vorangegangenen Festsetzung nach § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG. 

Die Finanzverwaltung geht dabei aber davon aus, dass die aus der Tatbestandserfüllung resultierende (doppelte) Zurechnung des Grundbesitzes gleichwohl bestehen bleibt. Damit kann sich die Zurechnung ungeachtet der Regelung des § 16 Abs. 4a GrEStG ändern. Aus einer doppelten Zuweisung des Grundstücks könnte nach dem Verständnis der Landesfinanzbehörden bei Folgeübertragungen eine doppelte Ergebung der Steuer resultieren. 

Beispiel: Bei dem Erwerb einer immobilienbesitzenden Gesellschaft durch eine andere Gesellschaft kommt es im ersten Schritt durch den Ankauf (schuldrechtlich) als auch durch die dingliche Übertragung der Beteiligung zu Verwirklichung des Tatbestands. Die Doppelbesteuerung kann bei korrekter Abwicklung über § 16 Abs. 4a GrEStG vermieden werden. Es bleibt aber nach der Finanzverwaltung bei der bereits realisierten doppelten Zurechnung der gleichen Immobilie sowohl auf Ebene der grundbesitzenden Gesellschaft als auch bei deren (neuer) Muttergesellschaft. 
    
Werden nun wiederum die Anteile an der Muttergesellschaft veräußert, werden zugleich zwei Gesellschaften erworben, denen jeweils ein Grundstück (das gleiche) zugerechnet wird. Nach dem Verständnis der Finanzverwaltung müsste dann doppelt Grunderwerbsteuer anfallen, ohne dass eine Befreiung möglich ist. 

Obwohl wirtschaftlich nur eine Übertragung vorliegt, fällt die Steuer systemwidrig doppelt an. Ein vom Erlassgeber schlicht als zweimalige Erhebung bezeichneter Vorgang führt schlicht zur Doppelbesteuerung einer Grundbesitzübertragung. 

 

IV. Mögliche Vermeidung der Doppelbelastung

Eine klare und eindeutige Vermeidung der Doppelzurechnung lässt sich nach Auffassung der Erlassgeber nur erreichen, wenn das Verpflichtungsgeschäft und dessen dingliche Erfüllung zeitlich zusammenfallen. Nur dann sei der gesetzliche Vorrang des § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG vor den Fällen der Anteilsvereinigungen sichergestellt.  

 

Beraterhinweis

Über die grundsätzliche grunderwerbsteuerliche Prüfung hinaus sind die Anzeigepflichten des § 19 GrEStG sorgsam zu prüfen und deren Einhaltung sicherzustellen. Dies sollte unbedingt auch über vertragliche Handlungspflichten abgesichert werden. Darüber hinaus stellen vorsorgliche Mehrfachanzeigen einen gangbaren Weg dar. 

Kommt es gleichwohl zur streitigen Auseinandersetzung mit der Finanzverwaltung, empfiehlt sich eine klageweise Durchsetzung der eigenen Rechtsauffassung. Anknüpfend an die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs besteht eine berechtigte Hoffnung, dass dieser eine andere Lesart des Gesetzes vertreten wird - ohne Doppelbelastung.
 

Dr. Markus Wollweber
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Partner
LinkedIn
Dr. Daniel Sommer
Rechtsanwalt, Steuerberater
Associate
LinkedIn