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BFH zwingt Steuerpflichtigen, Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts eines Grundstücks zu erbringen - Kostenfalle (BFH vom 17.11.2021 II R 26/20)

I. Öffnungsklausel, Nachweispflicht und Sachverständigengutachten
 
1. Die §§ 179 und 182 ff. BewG fingieren den gemeinen Wert eines Grundstücks (§ 177 BewG). Diese typisierenden Bewertungsvorschriften geben idR nicht den individuellen und zutreffenden gemeinen Wert (Verkehrswert) des Grundstücks wieder. Es liegt daher im Interesse des Steuerpflichtigen, dass in seinem Fall der individuelle Verkehrswert der Erbschaft- und Schenkungsteuer zugrunde gelegt wird, wenn dieser niedriger als der schematisch ermittelte Steuerwert ist (vgl. zB GOBLISCH in Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG/BewG, 3. Aufl., 2017, § 198 BewG Rz. 2). 

Das BewG trägt dem durch die sog. „Öffnungsklausel“ (vgl. HALACZINSKY in Rössler/Troll, BewG, § 198 Rz. 3 (Mai 2020)) in § 198 Satz 1 BewG Rechnung: Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Besteuerungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, ist dieser Wert anzusetzen. 

2. Hierbei trifft den Steuerpflichtigen die Nachweis- (vgl. BFH vom 11.9.2013 II R 61/11, BStBl. II 2014, 262), nicht nur die bloße Darlegungslast (vgl. HALACZINSKY in Rössler/Troll, BewG, § 198 Rz. 10 (Mai 2020); MANNEK in Stenger/Loose, BewG, § 198 Rz. 38.2 (Juli 2015)). 

3. Dies bestätigt der BFH in seinem Besprechungsurteil vom 17.11.2021 (II R 26/20) nun auch im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes, den das Finanzgericht gem. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO zu beachten hat. Die Verpflichtung des Finanzgerichts zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen gilt, so der BFH, im Rahmen von § 198 BewG aufgrund der Nachweispflicht des Steuerpflichtigen nur eingeschränkt. Kommt das Finanzgericht einem Antrag des Klägers auf Einholung eines solchen Gutachtens nicht nach, liegt darin kein Verfahrensfehlers des Gerichts. 

Der BFH kann sich dabei auf die Rechtsprechung zur Vorgängerregelung sowie auf Ausführungen in jüngeren Entscheidungen ebenfalls des II. Senats des BFH zur Nachweispflicht des Anteilswerts einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft berufen (vgl. zur Anteilsbewertung insoweit BFH vom 2.11.2020 II R 5/19, BStBl. II 2022, 15).  Im vorgenannten Urteil vom 2.11.2020 gibt der BFH dem Finanzgericht auf, von Amts wegen geeignete Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, um den gemeinen Wert gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG zu ermitteln, wenn es sich ansonsten keine ausreichende Überzeugung von dem gemeinen Wert des Anteils bilden kann. Hierzu kann sodann das Finanzgericht – anders als im Besprechungsurteil – ein Gutachten in Auftrag geben. 

4. IdR kann dieser Nachweis durch den zuständigen Gutachterausschuss oder einen Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken erbracht werden (R B 198 Abs. 3 Satz 1 ErbStR 2019; BFH vom 8.10.2003 II R 27/02, BStBl. II 2004, 179; vom 3.12.2008 II R 19/08, BStBl. II 2009, 403). Der BFH ging in seinem Urteil vom 11.9.2013 noch einen Schritt weiter und fordert im Falle der Gutachtenerstellung durch einen Sachverständigen, dass dieser öffentlich bestellt und vereidigt ist (BFH vom 11.9.2013 II R 61/11, BStBl. II 2014, 262, zum alten Recht der Öffnungsklausel nach § 147 Abs. 7 BewG, die auf § 198 Abs. 1 BewG übertragbar ist). Auch dies bestätigt der BFH im Besprechungsurteil erneut ausdrücklich, und zwar trotz Kritik in der Literatur (vgl. ausführlich MANNEK in Stenger/Loose, BewG, § 198 Rz. 38.8 ff. (Juli 2015); KAMPS, Stgb. 2017, 310). 

Sollte dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen unterschiedlichen Sachverständigen zur Verfügung stehen, sollte er aus prozesstaktischen Gründen sicherlich den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorziehen. 

5. Unabhängig von einem Sachverständigengutachten kann ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück als Nachweis dienen (vgl. R B 198 Abs. 4 Satz 1 ErbStR 2019). Gleiches gilt, wenn der Kaufpreis außerhalb eines Zeitraums im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen ist und die maßgeblichen Verhältnisse hierfür gegenüber den Verhältnissen zum Bewertungsstichtag unverändert geblieben sind (vgl. R B 198 Abs. 4 Satz 2 ErbStR 2019; MANNECK in Von Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl., 2021, § 198 BewG Rz. 24). Allerdings wird die Finanzverwaltung einen außerhalb des Zeitraums liegenden Kaufpreis regelmäßig dann nicht akzeptieren, wenn sich – aus dem Grundstücksmarkt erkennbar – die Grundstückspreise in kurzfristigen Abständen laufend ändern (vgl. MANNEK in Stenger/Loose, BewG, § 198 Rz. 40 (Juli 2015)).

II. Kostentragung für erstmalige Vorlage eines Gutachtens im Klageverfahren

1. Praktische Relevanz erlangt das Besprechungsurteil unter Kostengesichtspunkten. Die Klägerin hatten von der Einholung eines Gutachtens abgesehen, weil sie nach eigenem Vortrag die Kosten nicht hätte aufbringen können. 

2. Legt der Steuerpflichtige bzw. Feststellungsbeteiligte im Klageverfahren ein qualifiziertes privatschriftliches Gutachten über den gemeinen Wert des Grundbesitzes vor, der einen niedrigeren Wert gem. § 198 Abs. 1 BewG ausweist, und wird daraufhin der im Einspruchsverfahren angesetzte Grundbesitzwert erfolgreich korrigiert, stellt sich die Frage der Kostentragung für das Sachverständigengutachten. Die mit dem Gutachten verbundenen Kosten machen regelmäßig vierstellige, manchmal auch fünfstellige Euro-Beträge aus (vgl. Niedersächsisches FG vom 24.3.2015 1 K 204/13, EFG 2015, 1010). Gem. § 139 Abs. 1 FGO sind erstattungsfähige Kosten auch „die zur entsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten“. Ob hierzu die Gebühren des vom Kläger in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens zählen, ist in der Rechtsprechung umstritten. 

Gegen eine Kostenerstattung entschieden sich das FG Münster (vom 16.5.2017 3 Ko 859/17 KFB, nv.; vom 22.12.2015 3 K 2618/14 F, nv.); Niedersächsische FG (vom 31.8.2007 1 KO 6/07, EFG 2007, 1814) und jüngst das FG Hamburg (vom 28.10.2021, 3 K 65/20 –, EFG 2022, 562). Das Niedersächsische FG differenzierend später und bejaht die Erstattungsfähigkeit (vom 24.3.2015 1 K 204/13, EFG 2015, 1010).

FG Hamburg vom 7.7.2015 3 K 244/14, nv. (juris); vom 18.1.2016 3 K 176/15, nv. (juris); HALACZINSKY in Rössler/Troll, BewG, § 183 Rz. 15 (Mai 2020)). Jedoch wies das Niedersächsische FG für das sich anschließende Kostenfestsetzungsverfahren darauf hin, dass die Kosten zur Erstellung des Gutachtens für die Rechtsverfolgung der Klägerin notwendig und somit erstattungsfähig iSv. § 139 Abs. 1 FGO waren. 

3. Das Niedersächsische FG begründet die Erstattungsfähigkeit iSv. § 139 Abs. 1 FGO mit dem verfassungsrechtlich in dem Grundrecht auf wirkungsvolle Justizgewährung (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG) verankerten Grundsatz der verfahrens- und prozessrechtlichen Waffen- und Chancengleichheit. Zum einen führe das typisierende Bewertungsverfahren des BewG in vielen Fällen zu Überbewertungen, gegen die sich der Steuerpflichtige nur durch den ihm auferlegten Nachweis eines geringeren Werts gem. § 198 Abs.1 BewG zur Wehr setzen könne. Zum anderen fordere die Rechtsprechung für diese Gegenwehr und damit für den effektiven Rechtsschutz die Vorlage eines Sachverständigengutachtens, sofern kein Gutachten des Gutachterausschusses vorläge und es an zeitnahen Verkäufen mangele. Würde die Qualifikation der Gutachterkosten als notwendige Aufwendungen iSd. § 139 Abs. 1 FGO verneint werden, müsse der Steuerpflichtige diese Kosten in jedem Fall tragen, auch wenn er in der Sache obsiege: Für die Erstattung im Einspruchsverfahren mangele es an einer Rechtsnorm; die Erstattung im Klageverfahren würde unter Verweis auf die Nachweispflicht gem. § 198 BewG und auf ein verspätetes Vorbringen iSd. § 137 Satz 1 FGO gestützt. Im Ergebnis trüge damit die Finanzbehörde in diesen Fallkonstellationen überhaupt kein Kostenrisiko. 

4. Die Begründung des Niedersächsischen FG überzeugt (so auch HENNINGFELD, EFG 2015, 2012, 2013; ähnlich, aber abwartend HALACZINSKY in Rössler/Troll, BewG, § 198 Rz. 41 (Mai 2020); KAMPS, Stbg. 2015, 310, 311; wohl auch BRANDIS in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 139 FGO Rz. 26 (Aug. 2021); aA im Ergebnis wohl LOOSE, jurisPR-SteuerR 29/2022). 

5. Der BFH hat die Kostenfrage bis jetzt nicht entschieden. Im Besprechungsurteil geht er auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe ein und lässt diese ausdrücklich offen. Der Umstand, dass der BFH nicht auf eine mögliche Kostenerstattung im Obsiegensfall verweist, könnte für die Tendenz gegen eine Kostenerstattungspflicht sprechen.  

III. Beraterüberlegungen und Ausblick 

Die Erfolgsaussichten eines Klageverfahrens im Streit um den niedrigeren Wert des Grundbesitzes gem. § 198 Abs. 1 BewG stehen in den meisten Fällen unmittelbar im Zusammenhang mit der Vorlage eines Sachverständigengutachtens durch die Klägerseite. Mit dem Mandanten sind die möglicherweise zu ersparende Erbschaft- und Schenkungssteuer einerseits und andererseits die Kosten des Gutachtens sowie die Chance der Erstattungsfähigkeit abzuwägen. 

Die Gefahr, trotz Obsiegens im Klageverfahren gem. § 137 Satz 1 FGO die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt zu bekommen, sind nach objektiver Einschätzung eher gering. Eine klärende Entscheidung durch den BFH ist derzeit nicht zu erwarten. In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde zum BFH nicht gegeben (§ 128 Abs. 4 FGO). Die dadurch beabsichtigte Befreiung des BFH von kostenrechtlichen Beschwerdesachen bedingt die wachsende Gefahr einer widersprüchlichen Rechtsprechung der Finanzgerichte auf dem Gebiet des Kostenrechts (so auch SEER in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 128 FGO Rz. 27 (Okt. 2020)), so auch hier. 

Jedenfalls sollte gegen einen negativen Kostenfestsetzungsbeschluss des Beamten die Erinnerung eingelegt und die Entscheidung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters (§ 79 a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 FGO) eingeholt werden. Dieser Beschluss ist dann – wie erwähnt – unanfechtbar (§ 128 Abs. 4 Satz 1 FGO). 

Dr. Heinz-Willi Kamps
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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