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Betriebstättenrisiko bei Dienstleistenden – BFH v. 7.6.2023 I R 47/20

Der BFH hat mit Urteil vom 7.6.2023 (I R 47/20) seine Rechtsprechung zur Begründung von Betriebstätten durch Dienstleistende erweitert. 

I.    Sachverhalt

Der Kläger erzielte zunächst gewerbliche, später freiberufliche Einkünfte als Flugzeugmechaniker/Flugzeugingenieur. Er verfügte sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien über einen Wohnsitz, war jedoch nach Maßgabe des Doppelbesteuerungsabkommens in Großbritannien ansässig. Ein Besteuerungsrecht in Deutschland setzte daher notwendig voraus, dass der Kläger die Einkünfte durch Nutzung einer inländischen Betriebstätte erzielte.

Der Steuerpflichtige übte seine Tätigkeit auf dem Flughafengelände der A GmbH aus. Die A GmbH hatte mit einer Ltd. einen Vertrag über die Überlassung von Flugzeugwartungspersonal und deren Werkzeug geschlossen. Die Ltd. beauftragte den Kläger als Subunternehmer. Auf dem Flughafengelände standen den Subunternehmern der Ltd. neben dem Hangar auch Umkleide-, Verwaltungs-, und Gemeinschaftsräume sowie ein verschließbarer Spind und ein Schließfach zur Verfügung. Spind- und Schließfach waren jeweils mit dem Namen des Klägers versehen. Am Eingang des Gebäudes mussten sich die Mitarbeiter einer Sicherheitskontrolle unterziehen und konnten sich sodann frei bewegen. Die Ltd. hatte sich die Nutzung der Räumlichkeiten durch ihre Subunternehmen von der A GmbH vertraglich zusichern lassen.

II.    Sächsisches FG

Das FG hatte eine Betriebsstätte des Klägers entgegen der Sichtweise des Finanzamts verneint. Wohl vor dem Hintergrund des Beschlusses des BFH v. 9.1.2019 I B 138/17, BFH/NV 2019, 681 hatte das FG festgestellt, dass der Kläger sein Werkzeug in dem Spind/Schließfach nicht aufbewahrt hatte. Dies ließ die Größe des Schließfachs nicht zu. Das „Sichaufhalten und Tätigwerden“ mit eigenem Werkzeug in fremden Räumlichkeiten, um Arbeiten zu verrichten, genüge nicht für die erforderliche „Verwurzelung“ des Unternehmens des Klägers am Ort der Ausübung (Sächsisches FG v. 8.10.2020 3 K 49/17, EFG 2021, 1692). 

III.    BFH

Der BFH beurteilte den Streitfall anders. Für die Auslegung des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs stellte der BFH auf das nationale Begriffsverständnis ab. Der abkommensrechtliche Begriff korrespondiere mit dem des § 12 AO. Eine Betriebstätte iSv. § 12 Satz 1 AO setzte eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht („selbständiger Nutzungsanspruch“) hat. 

Die Verfügungsmacht des Klägers leitet der BFH mittelbar aus der Nutzungsvereinbarung zwischen der A GmbH und der Ltd., welche den Subunternehmern die Nutzung der Räume hatte zusichern lassen, und dem Vertrag des Klägers mit der Ltd. ab. Dass 

  • die Verfügungsmacht keine alleinige sei,

  • es Sicherheitskontrollen am Eingang gab und 

  • die Nutzungsmöglichkeit, dem Kläger ohne seinen Einfluss hätte entzogen werden können, sei während der Dauer der noch nicht aufgekündigten Vereinbarung aus Sicht des ersten Senats unschädlich. 

Auch fehle es nicht an der ortsbezogenen Verwurzelung. Der BFH verzichtet nicht auf dieses Erfordernis. Vielmehr betrachtet der erste Senat diesen Gesichtspunkt als entscheidungserhebliches Differenzierungskriterium zu anderen Entscheidungen und bloß physischer Präsenz. Erforderlich dürfte dabei jedenfalls eine unternehmensbezogene Zuordnung bestimmter Teile der Geschäftseinrichtung („Überlassung personenbeschränkter Nutzungsstrukturen“) sein. Hier fokussiert der BFH seine Ausführungen auf den Spind und das Schließfach des Klägers. Der BFH fordert eine betriebsbezogene Nutzungsmöglichkeit der personenbezogenen Vorrichtungen. Zum notwendigen Umfang der Nutzungsmöglichkeiten und ihrer konkreten Leistungsnähe der Nutzung lassen sich der Entscheidung nur bedingt Leitlinien entnehmen. Entscheidend dürfte es nach unserem Verständnis der Entscheidung darauf ankommen, dass das Schließfach dazu geeignet war, darin „unerlässliche Arbeitsmittel“ aufzubewahren. Als solche betrachtet der BFH auch die Arbeitskleidung, jedenfalls soweit sie nach Arbeitsschutzvorschriften erforderlich ist. Ob das Werkzeug des Klägers in den Spind passte, war aus Sicht der BFH daher nicht mehr erheblich. Konkrete Mindestanforderungen für den Umfang der betrieblichen Nutzung der personenbeschränkten Nutzungsstrukturen bietet die Entscheidung nicht. 

IV.    Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass ein Dienstleistender eine Betriebsstätte weiterhin nicht durch bloß physische Präsenz in den Räumen des Auftraggebers begründet. Verfügungsmacht über die Räume und „Verwurzelung“ am Ort der Leistungserbringung bleiben notwendig. Die Anforderung an beide Merkmale scheint der BFH – bei isolierter Betrachtung beider Merkmale – aber aufzuweichen:

  • Für die Verfügungsbefugnis kann es unschädlich sein, dass diese dem Dienstleistenden ohne seinen Einfluss entzogen oder auf das bloße „Betreten zur Leistungserbringung“ beschränkt werden kann. Unklar bleibt, ob der Nutzungsanspruch einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung bedarf oder konkludent aus dem Auftrag zu Dienstleistungen, die notwendigerweise in den Räumen des Auftragsgebers erbracht werden müssen, abgeleitet werden kann. 

  • Eine Verwurzelung könnte schon vorliegen, wenn bestimmte Vorrichtungen innerhalb der Räume des Auftraggebers dem Dienstleistenden zugewiesen sind und für Zwecke genutzt werden, die mit der betrieblichen Tätigkeit zusammenhängen. Klare Mindestanforderungen bestehen nicht. Je näher der Leistungsbezug ist, desto höher dürfte das Betriebsstättenrisiko sein.

Zu beachten ist aber, dass nicht die isolierte Betrachtung der vorstehenden Merkmale, sondern eine Gesamtwürdigung aller Umstände geboten ist (BFH v. 7.6.2023 I R 47/20, Rz. 25). in dem Entscheidungsfall bestand ein vertraglich ausdrücklich geregeltes Nutzungsrecht. Dieses wurde zu keinem Zeitpunkt entzogen oder auf das bloße Betreten zur Leistungserbringung beschränkt. Auch übte der Kläger seine gesamte Haupttätigkeit dauerhaft auf dem Flughafengelände aus. Ferner hatte er die Möglichkeit, im Spind mit der Arbeitskleidung „unerlässliche Arbeitsmittel“ aufzubewahren. Weitere unerlässliche Arbeitsmittel mit unmittelbarem Leistungsbezug (Werkzeug) konnten zwar nicht im Spind, jedoch im Hangar gelagert werden. 

Fehlen vergleichbare Gesamtumstände, darf uE seitens der Finanzverwaltung nicht allein aufgrund einer Erlaubnis, in den Räumen des Auftraggebers Dienstleistungen zu erbringen, sowie der Zuweisung einzelner Vorrichtungen vorschnell auf eine Betriebsstätte geschlossen werden. In der Gestaltungsberatung sind zur Risikominderung gleichwohl folgende Hinweise zu bedenken: 

  • Die Verträge sollten kein Nutzungsrecht des Dienstleistenden an den Räumen des Auftraggebers vorsehen. Das Betreten der Räume des Auftraggebers sollte unter dem Vorbehalt einer einzelfallbezogenen Genehmigung des Auftraggebers ausschließlich zur unmittelbaren Leistungserbringung stehen.

  • Das Nutzungsrecht für Gemeinschafts- und Verwaltungsräume sollte ausdrücklich generell ausgeschlossen sein.

  • Auch faktisch sollten die Räumlichkeiten des Auftraggebers nur zur unmittelbaren Leistungserbringung betreten werden. Vorbereitungsmaßnahme (wie Umziehen uä) sollten außerhalb der Geschäftseinrichtungen des Auftraggebers erfolgen.

  • Dem Dienstleistenden sollten keine Vorrichtungen (Spinde, Schließfächer, Räume, Einzelarbeitsplätze oder Regale) innerhalb der Räume des Arbeitgebers zugewiesen werden. Kennzeichnungen entsprechender Vorrichtungen sollten unterbleiben.

  • Wenn die Nutzung bestimmter Vorrichtungen durch den Dienstleistenden zur Leistungserbringung zwingend notwendig ist, sollten wechselnde Vorrichtungen genutzt werden.         

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Dr. Markus Surmann
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