Zehnt – der Steuerblog

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Zeitenwende im Streit um die Richtsatzsammlung?

Eine Schätzung auf Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF wird bislang vom BFH als geeignete Schätzungsmethode anerkannt (vgl. nur BFH vom 8.8.2019 X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219). Ein am 2.3.2023 veröffentlichter Beitrittsaufforderungsbeschluss des BFH (vom 14.12.2022 X R 19/21 nv. (juris)) weckt Zweifel, ob eine Richtsatzschätzung auch künftig von der höchstrichterlichen Rechtsprechung akzeptiert wird. 

Anstoß der neuerlich entfachten Diskussion war die Antwort der Bundesregierung vom 11.9.2018 auf eine Anfrage zur Ermittlung der Richtsatzschätzungen (BT-Drs. 19/4238) aus der ua. hervorging, dass Betriebe, bei denen im Ergebnis der Betriebsprüfungen ein negatives Betriebsergebnis festgestellt wurde, in die Richtsatzermittlungen nicht einbezogen wurden. 

Mit dem Beitrittsaufforderungsbeschluss hat der BFH das BMF aufgefordert, einem Revisionsverfahren (Hinzuschätzung bei einer Diskothek) beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und – wenn ja – unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist. Aus Sicht des BFH ist insbesondere unklar, 

  • welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornhinein ausgeschlossen werden; 
  • ob die regional zT erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegensteht;
  • weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei sog. Verlustbetrieben unberücksichtigt bleiben, obwohl auch solche Betriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagssatz ausweisen;
  • ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide Eingang in die Richtsatzsammlung finden.

Zudem stelle sich die Frage, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Ergebnis einer Schätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung – insbesondere auch im Hinblick auf die spezifischen Daten, die dieser Sammlung zugrunde liegen – nachzuvollziehen und zu überprüfen. 

Es ist zu begrüßen, dass der BFH sich mit der Zulässigkeit einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF noch einmal intensiv auseinandersetzen wird. Eine Tendenz, wie der BFH entscheiden wird, enthält der Beitrittsaufforderungsbeschluss nicht. Für die Praxis empfiehlt sich, keine Bescheide, die auf Hinzuschätzungen der Betriebsprüfung auf Grundlage der Richtsatzsammlungen beruhen, bestandskräftig werden zu lassen. Das Finanzamt sollte mit Verweis auf den Beitrittsaufforderungsbeschluss aufgefordert werden, anhängige Verfahren bis zu einer Entscheidung des BFH ruhend zu stellen. 

Dr. Christian Bertrand
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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