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Zehnt – der Steuerblog
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Rückwirkende Einziehung von Vermögen – juristische Taschenspielertricks des Bundesverfassungsgerichts?
Mit Beschluss vom 29.4.2022 entschied das BVerfG, dass die im Zuge des Jahressteuergesetzes 2020 eingeführte Regelung des Art. 316j EGStGB verfassungskonform ist. Ähnlich zu der Grundsatzentscheidung in Bezug auf Art. 316h EGStGB hinsichtlich der Verlängerung der Verjährungsfrist geht das BVerfG von einer zulässigen „echten Rückwirkung“ aus. Diese sei aufgrund „überragender Belange des Gemeinwohls“ ausnahmsweise zulässig.
Sog. „echte Rückwirkungen“ sind verfassungsrechtlich grds. unzulässig. Es gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz „nulla poena sine lege praevia, certa“. Das bedeutet die Strafe muss vor Begehung der Tat gesetzlich bestimmt sein. Sogenannte echte Rückwirkungen oder tatbestandliche Rückanknüpfungen sind nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn überragende Belange des Allgemeinwohls, welche dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, rückwirkende Beseitigungen erfordern. In diesen Fällen habe der Vertrauensschutz zurückzutreten. Denn, so das BVerfG, das Rückwirkungsverbot finde im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze.
Für die Steuerhinterziehung ist insbesondere das Konkurrenzverhältnis der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zur Erlöschensnorm des § 47 AO von Bedeutung, wonach Ansprüche aus dem Steuerverhältnis durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass, Verjährung oder durch den Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen erlöschen.
Das BVerfG geht davon aus, der Gesetzgeber habe sich mit der Neuregelung der Vermögensabschöpfung im Jahre 2017 für ein Nebeneinander von Einziehungsansprüchen einerseits und Ansprüchen der Geschädigten andererseits entschieden, die sich in ihren Voraussetzungen, ihrem Umfang und ihrem Verjährungsregime unterscheiden. Aufgrund der Eigenständigkeit der Einziehung handele es sich auch bei Einziehungsentscheidungen im Hinblick auf Steuerhinterziehungen nicht um eine Steuererhebung, so dass die die Steuern betreffenden finanzverfassungsrechtlichen Regelungen nicht von Belang seien. Einen Wertungswiderspruch erkennt das BVerfG nicht.
Sodann gelangt das BVerfG durch einen juristischen Kunstgriff, zu der Annahme, dass der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG nicht eröffnet ist. Dieser sei auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient, mithin eine Strafe darstellen. Die Vermögensabschöpfung ist nach Ansicht des BVerfG keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter, für die das strafrechtliche Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht gilt.
Die Regelung des Art. 316j Nr. 1 EGStGB sei lediglich am allgemeinen Rückwirkungsverbot zu messen.
Nach allgemeinen Ausführungen zur „echten“ und „unechten“ Rückwirkung, nimmt das BVerfG auf die Entscheidung des Gesetzgebers Bezug, mit Art. 316j Nr. 1 EGStGB die Erwartung formuliert zu haben, deliktisch erlangte Vermögenswerte in Folge des Zeitablaufs nicht behalten zu dürfen. Diese sei nicht schutzwürdig. Eine derartige rückwirkende Regelung wird sodann ausnahmsweise für zulässig erachtet. Diese sei durch gegenüber den Interessen der Betroffenen überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt. Ein Vertrauensschutz gelte nicht, soweit sich ausnahmsweise kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage nicht schutzwürdig war.
Die überragenden Belange des Gemeinwohls, welche dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, erkennt das BVerfG unter Berufung auf den Gesetzgeber darin, dass es das gesetzgeberische Ziel gewesen sei, durch Steuerhinterziehungen im großen Ausmaß aufgetretene, in der Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und so der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten nicht lohnen (vgl. bereits aus BTDrucks 19/25160, Seite 211 f.). Dieses Ziel sei legitim und überragend wichtig.
Ein weiteres entscheidendes Kriterium für das BVerfG ist, dass mit dem Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung das strafrechtliche Unwerturteil nicht in Wegfall gerät. Eine einmal begangene Strafbehandlung verliere ihren Unrechtscharakter nicht dadurch, dass die aus ihr gezogenen steuerlichen Vorteile auf der Grundlage der Abgabenordnung nicht mehr zurückgefordert werden können. Das erworbene Vermögen bleibe weiterhin mit dem Makel deliktischer Herkunft behaftet. Ein Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte sei weder für den Täter noch für einen Dritten schutzwürdig.
Fazit:
Sowohl die Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfrist (vgl. bereits BINNEWIES/PETERS, Mord und Steuerhinterziehung verjähren nicht, GmbHR 2021 R 64) als auch die rückwirkende Einziehung von Vermögenswerten sind nunmehr höchstrichterlich abgesichert. Die Abschöpfung von Vermögenswerten nimmt derweil auch in der Praxis immer weiter Fahrt auf. So stellte das Justizministerium NRW erst jüngst eine bei der Staatsanwaltschaft Bonn angesiedelte Spezialeinheit zur Vermögenseinziehung vor, die sog. Confiscation–Group. Deren Aufgabe ist es, in Zusammenarbeit mit Finanzermittlern anderer Landes- und Bundesbehörden Urteile zur Einziehung von Vermögen zu vollstrecken.
Pikant an der Entscheidung ist, dass die rückwirkende Einziehung de lege lata nunmehr in sämtlichen Fällen des unrechtlichen Erwerbs in Betracht kommt. Inwieweit künftig etwa auch die rückwirkende Einziehung ererbter Schwarzgeldkonten erfolgen wird, ist abzuwarten. Festzuhalten bleibt, dass ein Vertrauensschutz, was den Behalt unredlich erlangter Vermögenswerte betrifft, nicht (mehr) besteht.