Zehnt – der Steuerblog

Bleiben Sie informiert über aktuelle Entwicklungen in steuer- und steuerstrafrechtlicher Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur.

 

Mündliche Verhandlung in Corona-Zeiten?

Das (Finanz)Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 90 Abs.1 Satz 1 FGO). Die Mündlichkeit ist Prozessgrundsatz. Die öffentliche Verhandlung in Form der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Gerichtsprozesses ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips.

Der Grundsatz der Mündlichkeit auch im Finanzgerichtsprozess ist ein tragender Grundpfeiler des Verfahrens zur Wahrung des Rechts der Beteiligten auf Gehör. In der mündlichen Verhandlung trägt der Vorsitzende oder der Berichterstatter zunächst den wesentlichen Inhalt der Akten vor (§ 92 Abs. 2 FGO). Das Gericht hat sodann die Streitsache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu erörtern (§ 93 Abs. 1 FGO).

Die mündliche Verhandlung dient der Vervollständigung des tatsächlichen und rechtlichen Prozessstoffs. Die Beteiligten erhalten die Gelegenheit durch ihre Argumente und durch den persönlichen Eindruck zu überzeugen. Eine so – wie vom Gesetz vorgesehene – verstandene mündliche Verhandlung trägt erfahrungsgemäß selbst bei Klageabweisung zum Rechtsfrieden bei, da die Kläger sich und ihr Klagebegehren ernstgenommen fühlen. In der Praxis wird dieses Ideal leider nicht immer erreicht. Schlimmstenfalls beschränken sich die Beteiligten auf das Notwendigste. Nach dem Sachvortrag nimmt der Senat die Anträge entgegen. Der Klägervertreter stellt den Klageantrag unter Bezugnahme auf den schriftlichen Vortrag. Der Vertreter des Finanzamts begnügt sich mit dem Antrag auf Klageabweisung. Ebenso kommt es vor, dass der Klägervertreter mit Verve plädiert, dies seitens des Gerichts und des Finanzamts regungslos zur Kenntnis genommen wird oder das Gericht zum Rechtsgespräch einlädt, dieses wiederum von den Beteiligten nicht aufgegriffen wird. Eine solche Durchführung der mündlichen Verhandlung wird ihrer verfahrensrechtlichen Bedeutung nicht gerecht.

Mit Eintritt der Corona-Krise haben die Gerichte mündliche Verhandlungen bis auf das Notwendigste abgesagt. Die Tätigkeit war auch bei den Gerichten weitgehend ins Homeoffice verlagert. Nun wird die Tätigkeit in den Gerichten wieder aufgenommen. Gleichwohl versuchen die Gerichte mündliche Verhandlungen zu vermeiden. Kläger und das beklagte Finanzamt werden aufgefordert ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des fünfköpfigen Senats ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) zu erklären. Alternativ wird abgefragt, ob eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid der drei Berufsrichter akzeptiert wird (§ 90a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO). Dies macht nur Sinn, wenn zuvor Einigkeit darüber besteht, dass keine der Parteien den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung im Anschluss an den Gerichtsbescheid stellt. Ob auf die mündliche Verhandlung verzichtet wird, sollte sorgsam gemeinsam mit den Mandanten abgewogen werden.

Die Beteiligten vergeben die Chance durch einen echten Diskurs in der mündlichen Verhandlung ein für alle Beteiligten besseres Ergebnis zu erzielen. Die Gefahr aneinander vorbei zu schreiben ist größer als die Gefahr aneinander vorbei zu reden. Die mündliche Verhandlung darf auch in Corona-Zeiten nicht zur lästigen Pflicht verkommen. Die mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht ist besonders bedeutsam, da es die einzige Tatsacheninstanz ist.

Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Partner
LinkedIn