Zehnt – der Steuerblog

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Lässt sich die Wegzugsbesteuerung durch eine Wertpapierleihe vermeiden?

Kern der am 9.2.2023 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 23.11.2022 (I R 52/19) war die Frage, ob ein Wegzug in die Schweiz die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG auslöste. Voraussetzung der Wegzugssteuer ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AStG das Innehaben von Anteilen iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG bei der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht.
 
Der Kläger war Inhaber einer wesentlichen Beteiligung iSd. § 17 Abs. 1 EStG an einer Aktiengesellschaft und verlagerte seinen Wohnsitz in die Schweiz. Im Vorfeld des Umzugs vereinbarte er das zivilrechtliche und wirtschaftliche Eigentum an seinen Aktien auf eine im Inland ansässige Person im Rahmen eines Wertpapierdarlehens zu übertragen. Durch einen solchen Vertrag verpflichtet sich der Darlehensgeber, dem Darlehensnehmer die Wertpapiere auf eine begrenzte Zeit mit der Maßgabe zu „verleihen“, dass Wertpapiere gleicher Art und Güte (nicht notwendig dieselben Wertpapiere) zurückzugeben sind.
 
Da der Darlehensgeber nach der Gewährung des Darlehens grundsätzlich weder zivilrechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien ist, stellt sich die Frage, ob die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland noch den Tatbestand der Wegzugsbesteuerung auslöst.
Die Antwort ist umstritten. Streitig ist dabei etwa, ob

  • der vertragliche Anspruch auf „Rückgewähr“ aus dem Darlehensvertrag eine „Anwartschaft“ iSd. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG darstellt,
  • die Wertpapierleihevereinbarung das Potential der Realisierung eines Vermögenszuwachses  für den Verleiher nur in zeitlicher Hinsicht beschränkt (während der Laufzeit der Leihvereinbarung ausschließt, aber nach einer "Aktienrückgabe" für die Zukunft wieder eröffnet bzw. bei einer Ersatzleistung in Geld in diesem Moment umsetzt), 
  • eine Veräußerungsfiktion anzunehmen ist, um die nationale Besteuerung zu gewährleisten 
  • oder ob ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts vorliegt.

 Leider konnte der BFH all diese Fragen offen lassen. Da das zivilrechtliche und das wirtschaftliche Eigentum im Entscheidungsfall nach den erstinstanzlichen Feststellungen erst einige Tage nach dem Wegzug in die Schweiz übertragen wurde, war der Tatbestand der Wegzugsteuer unabhängig von den Diskussionspunkten erfüllt. Bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht war der Kläger noch Inhaber der Aktien.
 
Richtigerweise hätte die Wegzugsteuer bei Übertragung vor dem Umzug vermieden werden können. Gegen eine „Anwartschaft“ spricht ua., dass sich der Rückgabeanspruch anders als bei typischen Anwartschaften wie dem Bezugsrecht nicht gegen die Gesellschaft richtet (GOSCH in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Auflage 2022, § 17 Rz. 17). Für eine Veräußerungsfiktion fehlt es schon an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Steuerrecht ist Eingriffsrecht. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten scheidet schon deshalb aus, weil der Wegziehende jedenfalls beim Wegzug keinen Vorteil erlangt. Er ist nicht Inhaber der Wertpapiere. Die Aktien bleiben in Deutschland steuerverstrickt. 
 
Eine höchstrichterliche Klärung bleibt weiterhin abzuwarten.  

Dr. Eugen Mehlhaf
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
Senior Associate
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