Zehnt – der Steuerblog

Bleiben Sie informiert über aktuelle Entwicklungen in steuer- und steuerstrafrechtlicher Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur.

 

COVID-19-Pandemie und Bilanzerrichtung: Was Steuerberater jetzt beachten müssen

Die COVID-19-Pandemie geht für Unternehmen mit erheblichen, zum Teil existenzrelevanten, derzeit nicht sicher prognostizierbaren wirtschaftlichen Risiken einher. Da der auf- und festzustellende Jahresabschluss ein vollständiges und richtiges Bild über die Einkommens- Vermögen- und Finanzverhältnisse des betroffenen Unternehmens geben muss, hat die COVID-19-Pandemie unmittelbar auch Einfluss auf die vorbereitende Tätigkeit des Steuerberaters bei Erstellung der Jahresabschlüsse.

Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die kraft Gesellschaftsform der Antragspflicht nach § 15a InsO unterliegen: Insolvenzantragspflicht sind, soweit der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) vorliegen, insbesondere

- Kapitalgesellschaften (zB: GmbH, AG);
- eingetragene Vereine und Genossenschaften und
- Personengesellschaften, bei denen allein eine Kapitalgesellschaft persönlich haftender Gesellschafter ist (insbesondere: GmbH & Co. KG).

Dies Gesellschaft sind im Besonderen von der COVID-19-Pandemie im Hinblick auf die Bilanzierung getroffen: Denn im Rahmen der Bilanzansätze ist stets die Frage zu beantworten, ob mit Fortführungswerten oder Zerschlagungswerten zu bilanzieren ist. Ausgangspunkt ist § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, der grundsätzlich eine Vermutungsregel zugunsten des Fortführungswerts (going-concern) enthält (Ansatz der Fortführungswerte, „(…) sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen“).

Mit Urteil vom 26.1.2017 (IX ZR 285/14, NJW 2017, 1611) hat der BGH, in Abweichung von seiner bisherigen Rspr. (Zur Entwicklung der Rspr.: WOLLWEBER, Stbg 2017, 274, 274 f) klar gestellt: Besteht für eine nach § 15a InsO insolvenzantragspflichtige Gesellschaft (zB: Kapitalgesellschaft, GmbH & Co. KG, siehe oben) ein Insolvenzgrund, scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen aufgrund eines Insolvenzantrags stillgelegt werden wird (zu den hilfreichen Hinweisen der Bundessteuerberaterkammer: www.bstbk.de/downloads/bstbk/steuerrecht-und-rechnungslegung/fachinfos/BStBK_Hinweise-Krisenunternehmen-2018.pdf).

Trifft der Steuerberater bei Aufstellung und Vorbereitung des Jahresabschlusses auf diese Situation einer möglichen Stilllegung im Prognosezeitraum, gilt folgendes:

Der Steuerberater:

- ist verpflichtet zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die im Prognosezeitraum (Prognosezeitraum: bis Ende des auf den Bilanzstichtag folgenden Kalenderjahres) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für ein Stilllegung sprechen;

- hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind; zugleich muss er dem Mandanten für diesen Fall zwingend empfehlen, die Frage der Insolvenzantragspflicht unverzüglich prüfen zu lassen;

- darf die Bilanz mit Bescheinigung nur dann mit Fortführungswerten (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) aufstellen, wenn die Stilllegung im Prognosezeitraum nicht sicher feststeht oder jedenfalls ganz überwiegend wahrscheinlich ist; andernfalls ist eine Bilanzaufstellung nur zu Zerschlagungswerten zulässig; die Frage der positiven Fortführungsprognose hat sich der Steuerberater vom Mandanten ggf. anhand einer insolvenzrechtlich gutachterlichen Stellungnahme glaubhaft machen zu lassen, wobei der Steuerberater ein solches Gutachten nur dahingehend durchzusehen hat, dass es sich nicht erkennbar um ein „Gefälligkeitsgutachten“ handelt.

In der jetzigen Situation der COVID-19-Pandemie bedeutet dies: Derzeit befinden sich sowohl mit Blick auf eine Zahlungsunfähigkeit bestimmte temporäre Leistungsverweigerungsrechte als auch die Abänderung der § 15a InsO vorgesehenen dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht im Gesetzgebungsverfahrens:

- Der Bundestag hat dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie zugestimmt. Das Gesetz wird am 27.3.2020 vom Bundesrat genehmigt werden. Danach sollen zum einen, im Hinblick für die Frage der Zahlungsunfähigkeit iSd. § 17 InsO relevant befristete Corona-Leistungsverweigerungsrechte ua. für Kleinunternehmer (Unternehmen mit bis neun Beschäftigten und max. € 2 Mio. Umsatz pro Jahr oder max. € 2 Mio. Bilanzsumme) im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen. Das Leistungsverweigerungsrecht ist zunächst bis zum 30.6.2020 begrenzt.

- Zudem liegt der Gesetzesentwurf zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vor. Das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz ist am 25.3.2020 durch den Bundestag angenommen worden und soll am 27.3.2020 durch den Bundesrat genehmigt werden. Art 1 § 1 des COVInsAG lautet:

„Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und nach § 42 Abs. 2 BGB ist bis zum 30.9.2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS Cov-2CoVid19-Pandemie, zu beruht, oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.“

Folge: Sofern nunmehr Jahresabschlüsse auf den 31.12.2019 oder auf den 31.12.2018 für solche Gesellschaften zu errichten sind, die der Insolvenzantragspflicht unterliegen (insbesondere Kapitalgesellschaften, GmbH & Co. KG), muss der Steuerberater prüfen, ob er Fortführungswerte ansetzen kann. Dies setzt seinerseits die Prüfung voraus, ob es bis zum Ende des Jahres (31.12.2020) zu einer (insolvenzbedingten) Stilllegung des Betriebs kommen kann. Liegen aus Sicht des Steuerberaters bis zum 31.2.2019 keine konkreten Anhaltspunkte für eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens vor, wird er für den Regelfall, unter Berufung auf die Vermutungsregel des Art. 1 § 1 Satz 3 COVInsAG und des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, Fortführungswerte ansetzen und eine entsprechende Bescheinigung erteilen dürfen. Der Berichtsteil sollte Klarstellungen enthalten:

„Bis zum 31.12.2019 waren keine konkreten Anhaltspunkte für eine Überschuldung oder mögliche Zahlungsunfähigkeit erkennbar. Unter Zugrundelegung der Vermutungsregel nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB iVm. Art. 1 § 1 Satz 3 COVInsAG sind Fortführungswerte angesetzt worden.“

In jedem Fall sollte der Steuerberater, zur Absicherung seines eigenen Haftungsrisikos, im Zuge der Annahme des Auftrags zur Erstellung des Jahresabschlusses, spätestens bei Überlassung des aufgestellten Jahresabschlusses an den Mandanten klarstellen, dass er nicht mit einer insolvenzrechtlichen Prüfung beauftragt ist und auch keine insolvenzrechtliche Prüfung vorgenommen hat.