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BFH schränkt Schätzungsbefugnis bei manipulierbaren Altkassen ein

Gemäß § 158 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AO sind die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, die sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Formelle Mängel in der Buchführung berechtigen nach ständiger Rechtsprechung nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Ergebnisses der Gewinnermittlung anzuzweifeln, mithin ein Mangel von hohem Gewicht vorliegt.

§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO schreibt vor, dass bei einer Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für diese von Bedeutung sind. Die Finanzbehörden und -gerichte dürfen sich deshalb zur Begründung einer Schätzungsbefugnis dem Grunde und der Höhe nach nicht mit der bloßen Benennung formeller oder materieller Mängel begnügen, sondern müssen diese auch nach dem Maß ihrer Bedeutung für den konkreten Einzelfall gewichten. Denn nur durch eine angemessene Gewichtung eines Mangels kann beurteilt werden, ob und ggf. inwieweit Anlass besteht, die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen zu beanstanden.

Die Verwendung eines objektiv manipulierbaren Kassensystems stellt einen gravierenden Mangel dar, wenn in diesen Fällen schon systembedingt keine Gewähr für die Vollständigkeit der Einnahmenaufzeichnung gegeben ist. Der BFH hat mit seinem jüngst veröffentlichten Urteil vom 28.11.2023 (X R 3/22) jedoch darauf hingewiesen, dass auch in diesen Fällen das Gewicht des Mangels unter besonderen Umständen reduziert sein kann.

Im Streitfall war die vom Kläger eingesetzte Kasse zwar objektiv manipulierbar, was einem bestimmten Personenkreis – zumindest dem Kassenhersteller und den Kassenhändlern und -reparateuren – auch bekannt war. Das Finanzgericht konnte jedoch weder feststellen noch ausschließen, dass auch der Kläger Kenntnis von der Manipulationsmöglichkeit hatte.

Für einen solche Sachverhaltskonstellation hat der BFH in dem genannten Urteil nunmehr konkrete Voraussetzungen vorgegeben, bei deren kumulativen Vorliegen das Gewicht des in einer objektiven Manipulierbarkeit der eingesetzten Kasse liegenden formellen Mangels angemessen zu reduzieren ist:

  • Der Kassenhersteller hat während des Vertriebszeitraums der Kasse ein Kassenmodell in Verkehr bringen wollen, das nach allgemeiner Vorstellung den damaligen steuerrechtlichen Anforderungen genügte;
  • die Finanzverwaltung hat die Nutzung dieses Kassenmodells bis dato nicht beanstandet;
  • das Kassenmodell hat in der betrieblichen Praxis eine nennenswerte Verbreitung erfahren;
  • eine tatsächliche Nutzung der objektiv gegebenen Manipulationsmöglichkeit durch den Steuerpflichtigen im konkreten Einzelfall ist nicht nachgewiesen, und nach den Umständen spricht auch eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit gegen eine solche Manipulation.

 

Beraterhinweis

Der BFH hält es zurecht für unverhältnismäßig, wenn die Gewinnermittlung aller Steuerpflichtigen, die ein möglicherweise weit verbreitetes Kassenmodell eingesetzt haben, allein deshalb verworfen werden könnte, weil sich im Nachgang herausstellt, dass es objektiv manipulierbar gewesen ist. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass vermutlich jedes datenverarbeitungsgestützte System theoretisch manipulierbar ist. Es bedarf daher weiterer konkreter Feststellungen der Finanzverwaltung, die man in der Praxis nicht selten vermisst. Aus Beratersicht bietet die Entscheidung des BFH damit in vielen Fällen weiteres Rechtschutzpotenzial.
 

Dr. Peter Talaska
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Jonas Joosten
Rechtsanwalt
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