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BFH: Neues zur Lohnsteuerhaftung

In kaum einem anderen Feld als im Bereich des Haftungsbescheids werden vom Finanzamt mehr Fehler gemacht. Dies beginnt bei der Frage der örtlichen Zuständigkeit und führt über die Frage der Darlegung des Haftungstatbestands bis hin zu den streitrelevanten Fragen des Entschließungs- und Auswahlermessens.

Dabei handelt es sich bei den Haftungsbescheiden um Ermessensentscheidungen, bei denen im Fall der örtlichen Unzuständigkeit des Finanzamts entgegen den Grundsätzen des § 127 AO die Aufhebung verlangt werden kann. Die Frage der Änderung richtet sich nach §§ 130, 131 AO iVm. § 129 AO.

Zudem wird idR das Streitfeld die Fragen des Entschließungs- und Auswahlermessens betreffen. Dabei können gemäß § 102 Satz 2 FGO im Klageverfahren, dh. nach Erlass der Einspruchsentscheidung nur kleinere Ermessensfehler behoben bzw. Ermessenserwägungen ergänzt werden. Beim Vorliegen wesentlicher Ermessensfehler ist hingegen zwingend der Haftungsbescheid aufzuheben. 

In diesem Kontext ist die aktuelle Entscheidung des VI. Senats vom 2.9.2021 ergangen (Aktenzeichen: VI R 47/18):

Die Finanzbehörde übt, so der BFH, ihr Auswahlermessen fehlerhaft aus, wenn sie ohne nähere Begründung nur den Arbeitgeber für die Lohnsteuer nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG in Haftung nimmt, obwohl nach den im Streitfall gegebenen Umständen eine Haftung des Geschäftsführers des Arbeitgebers nach den §§ 34, 35, 69 AO in Betracht kommt.

Im Streitfall hatte die Arbeitgeberin für verschiedene Arbeitnehmer die Lohnsteuer gemäß Steuerklasse I und III abgeführt, obgleich sich bei den Lohnkonten der betroffenen Arbeitnehmer weder Lohnsteuerkarten/Ersatzbescheinigungen noch Lohnsteuerabzugsbescheinigungen mit entsprechenden Lohnsteuerabzugsmerkmalen befanden und solche Bescheinigungen in der nachgehenden Prüfung auch nicht vorgelegt werden konnten. Später ist im Hinblick auf diese Beträge gegenüber dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung auch das Ermittlungsverfahren eingeleitet und später auch Anklage zum Amtsgericht erhoben worden. 

Ausgehend von diesem Sachverhalt sah es der BFH keinesfalls als fernliegend an, den Geschäftsführer nach den §§ 34, 35, 69 AO (ggf. auch nach § 71 AO) in Haftung zu nehmen. Da bezüglich einer solchen Inhaftungnahme aber im Lohnsteuerhaftungsbescheid keinerlei Erwägungen getroffen worden waren und entsprechende Erwägungen auch bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung nicht nachgeholt wurden, war der Bescheid im Ergebnis aufzuheben.

Beraterhinweis: Gerade mit Argumenten gegen die Ausübung des Ermessens  kann die Aufhebung der Haftungsbescheide häufig erwirkt werden. Dabei kommt es auf das Timing an: Wer sein Pulver zu früh verschießt und bereits im laufenden Einspruchsverfahren dezidiert auf Fehler bei der Ermessensausübung hinweist, gibt dem Finanzamt ggf. noch die Möglichkeit, entsprechende Erwägungen in der Einspruchsentscheidung nachzuholen. Entsprechende Argumente sollten daher frühestens im Klageverfahren dezidiert vorgebracht werden.

Dr. Markus Wollweber
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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