Zehnt – der Steuerblog

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BFH – Anlaufhemmung durch Abgabe der Steuererklärung beim unzuständigen FA?

Mit dieser praxisrelevanten Frage hatte sich der BFH im Urteil vom 14.12.2021 auseinanderzusetzen. Nachdem (hier vereinfacht dargestellten) Sachverhalt hatte der Steuerpflichtige seine Einkommensteuerklärung 2010 in 2011 beim unzuständigen Finanzamt eingereicht. Dieses hatte, obwohl es die eigene Unzuständigkeit erkannte, die Steuererklärung nicht an das zuständige Finanzamt weitergeleitet, sondern schlicht zu den Akten genommen. In Unkenntnis der abgegebenen Steuererklärung erließ das zuständige FA zunächst einen Schätzungsbescheid mit einer Steuerfestsetzung von €0,--; ein später vom Finanzamt vermeintlich in 2013 versandter Änderungsbescheid ging dem Steuerpflichtigen nicht zu und wurde aus diesem Grund nicht wirksam. Aufgrund einer Kontrollmitteilung über festgestellte Einkünfte iHv. €975.864,-- änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2010 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO schließlich durch einen in 2016 zugegangenen Änderungsbescheid und setzte eine Einkommensteuer von €399.108,-- fest.

Gegen diesen Änderungsbescheid wandte sich die Steuerberaterin des zwischenzeitlich verstorbenen Mandanten mit dem Argument, der Änderung stehe die zwischenzeitlich zum 31.12.2015 eingetretene Festsetzungsverjährung entgegen. 

Der BFH durch Urteil vom 14.12.2021, VIII R 31/19 entschieden: 

1. Wird die Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt eingereicht, endet die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO grundsätzlich erst dann, wenn die zuständige Behörde die Erklärung erhalten hat.

2. Nur ausnahmsweise kann auch die Abgabe der Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt genügen, um die Anlaufhemmung zu beenden. Dies ist der Fall, wenn das unzuständige Finanzamt seine Fürsorgepflicht gemäß § 89 AO verletzt, indem es die Erklärung lediglich zu den Akten nimmt, obwohl ihm seine eigene Unzuständigkeit ebenso bekannt ist wie die zuständige Behörde. Verletzt die Behörde ihre Fürsorgepflicht, ist der Steuerpflichtige im Rahmen des rechtlich Zulässigen so zu stellen, als wäre der Verstoß nicht passiert.

Vorliegend war nach den Feststellungen des FG und des BFH ein solcher Verstoß gegen die Fürsorgepflicht anzunehmen, da das zuständige Finanzamt, bei dem in 2011 die Einkommensteuererklärung eingereicht hatte, trotz Kenntnis von der eigenen Unzuständigkeit die Erklärung nicht weitergeleitet und auch dem Steuerpflichtigen keine Rückmeldung über die eigene Unzuständigkeit gegeben hatte. Der Fall wurde zugunsten des Mandanten gewonnen, die in Streit stehende Einkommensteuer war bereits vor Erlass des Änderungsbescheides verjährt.

Die Entscheidung ist auch aus anderem Grund durchaus lesenswert, veranschaulicht sie doch gleich eine Kaskade von Fehlern, die im behördlichen Umgang mit Steuerpflichtigen eintreten können.

www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202210080/

Dr. Markus Wollweber
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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