Zehnt – der Steuerblog

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Attache moi ! - Verletzung rechtlichen Gehörs bei rechtswidriger Fesselungsanordnung durch das Finanzgericht

Der BFH entscheid mit Beschluss vom 10.8.2023 (X B 136/22), dass das rechtliche Gehör verletzt ist, wenn ein Beteiligter zwar grundsätzlich ordnungsgemäß geladen worden ist, die Ladung jedoch mit einer rechtswidrigen Fesselungsanordnung verbunden wurde, und das Gericht, nachdem sich der Beteiligte geweigert hat, unter diesen Bedingungen an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, in dessen Abwesenheit entscheidet.


Was ist passiert? Der Kläger verbüßte eine lebenslange Haftstrafe und wurde in einem finanzgerichtlichen Verfahren zur mündlichen Verhandlung geladen. Die Einzelrichterin ersuchte die JVA um Vorführung und ordnete die Fesselung des Klägers mit Hand- und Fußfesseln an, ohne hierfür eine Rechtsgrundlage oder eine ausreichende Begründung zu geben. Daraufhin lehnte der Kläger die Einzelrichterin als befangen ab, erhob Dienstaufsichtsbeschwerde und kündigte nach einer Terminsverlegung und nach Ergehen einer weiteren Fesselungsanordnung an, nicht vor Gericht zu erscheinen. Sodann fand die mündliche Verhandlung ohne den Kläger statt.


Der BFH erachtete die Beschwerde als zulässig und begründet. Gerügt wurde die Verletzung rechtlichen Gehörs. Dem Fall einer fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen Ladung ist nach Auffassung des BFH der Fall gleichzusetzen, dass ein Beteiligter zwar grundsätzlich ordnungsgemäß geladen worden ist, die Ladung jedoch mit einer rechtswidrigen Fesselungsanordnung verbunden worden ist, die von den sitzungspolizeilichen Befugnissen des § 52 Abs. 1 FGO i.V.m. § 176 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) nicht gedeckt ist.


Der BFH legt in den weiteren Gründen des Beschlusses lehrbuchartig dar, ob, wann, durch wen und unter welchen näheren Voraussetzungen das Gericht im Rahmen seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse Zwangsmaßnahmen, wie etwa eine Fesselung des Beteiligten, anordnen kann. 


Eine Fesselung kommt nur dann in Betracht, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die einen Fesselungsgrund ergeben und wenn - dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgend - die mit der Fesselung beabsichtigten Zwecke nicht auf weniger einschneidende Art und Weise erreicht werden können. Entscheidend sind nach Ansicht des BFH konkrete Anhaltspunkte. Bloße Befürchtungen, Vermutungen oder gar nur ein bloßer Verdacht genügen nicht. Abschließend stellt der BFH klar, dass eine sogenannte Doppelfesselung, dh. an Händen und Füßen zugleich, auf ganz besondere Ausnahmefälle beschränkt ist.


Der BFH entschied schließlich, dass das Urteil auf dem Verfahrensmangel beruht und der Kläger insbesondere nicht hätte darlegen müssen, was er in der mündlichen Verhandlung noch hätte vortragen wollen und wie er mit seinem Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können.
Die angestellten rechtlichen Erwägungen des BFH zur Fesselungsanordnung gelten grundsätzlich auch für das Strafverfahren, wenngleich hier eine mündliche Verhandlung ohne den Angeklagten auf seltene Ausnahmefälle beschränkt ist. Die Entscheidung zeigt aber, dass Befangenheitsgesuche nicht sämtlich, form- und fruchtlos sind.

Dr. Sebastian Peters
Rechtsanwalt
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