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Zur inkongruenten Gewinnverteilung gesellt sich die inkongruente Gewinnverwendung

Vereinfachter Sachverhalt: A ist zu 70 %, B zu 30 % an der A-GmbH beteiligt. Gesellschafterbeschlüsse werden laut Satzung mit einfacher Mehrheit gefasst. Mit einfacher Mehrheit kann laut Satzung auch eine von der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung abweichende Gewinnausschüttung beschlossen werden. Mit Einverständnis des betroffenen Gesellschafters erlaubt die Satzung auch die Einstellung des Gewinnanteils in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage. Über die Auflösung und Ausschüttung der personenbezogenen Rücklage ist laut Satzung ebenfalls mit einfacher Mehrheit zu beschließen. A und B stellen den Gewinn für 2019 iHv. € 100.000,-- fest. € 30.000,-- werden an B ausgeschüttet, € 70.000,-- werden in eine für A gebildete Gewinnrücklage eingestellt.

Das Finanzgericht Niedersachsen ging davon aus, dass jedenfalls bei einem beherrschenden Gesellschafter, der es in der Hand hat, die personenbezogene Gewinnrücklage jederzeit aufzulösen und an sich auskehren zu lassen, im Zeitpunkt der Bildung der gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage bereits ein Zufluss iSv. § 20 Abs. 1 Nr.  1, § 11 Abs. 1 EStG und damit eine steuerpflichtige Dividende gegeben sei. Dies sieht der BFH anders. Nach Auffassung des BFH ist sowohl die zivilrechtlich wirksam beschlossene inkongruente Ausschüttung, als auch die zivilrechtlich wirksam beschlossene inkongruente Gewinnverwendung steuerrechtlich anzuerkennen. Die Entscheidung des BFH ist außerordentlich erfreulich und eröffnet in der Praxis Gestaltungsspielräume.

Mit Ablauf des Geschäftsjahres einer GmbH entsteht gem. § 29 GmbHG ein mitgliedschaftlicher Anspruch auf Feststellung des Jahresabschlusses und auf Fassung eines Gewinnverwendungsbeschlusses. Im Rahmen des Gewinnverwendungsbeschlusses entscheiden die Gesellschafter, ob der Gewinn

  • vorgetragen wird,
  • in eine Gewinnrücklage eingestellt wird,
  • an die Gesellschafter ausgeschüttet wird.

Im Rahmen der Gewinnverwendung haben die Gesellschafter einer GmbH auch die Freiheit, zu entscheiden, dass nur die Gewinnanteile einzelner Gesellschafter ausgeschüttet bzw. nicht ausgeschüttet, sondern in gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen eingestellt werden (gespaltene bzw. inkongruente Gewinnverwendung). Wird im Rahmen der Gewinnverwendung entschieden, dass der Gewinn insgesamt oder Teile des Gewinns ausgeschüttet werden, müssen die Gesellschafter  im weiteren Schritt im Rahmen eines Gewinnverteilungsbeschlusses entscheiden, in welchem Verhältnis der ausschüttungsfähige Gewinn an die einzelnen Gesellschafter verteilt und ausgekehrt werden soll. Erst mit Fassung des Gewinnverteilungsbeschlusses und der Aufteilung auf die Gesellschafter entsteht der Auszahlungsanspruch auf die auszuschüttende Dividende (vgl. nur BGH vom 14.9.1998 II ZR 172/97, DStR 1998, 1688).

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Einstellung vom Gewinn in die allgemeine Gewinnrücklage oder auch in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage noch keinen Auszahlungsanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft bewirkt. Dieser entsteht erst, wenn ein Beschluss zur Auflösung der Gewinnrücklage und über die Verteilung und Auszahlung des sich in der Gewinnrücklage befindlichen Gewinns gefasst wird. Es ist – jedenfalls bislang – unstreitig, dass die Thesaurierung von Gewinn nicht zum Zufluss führt. Dies ist sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich systematisch zwingend. Thesaurierter Gewinn stellt Eigenkapital der Gesellschaft dar. Insoweit tritt bei den Gesellschaftern keine Vermögensmehrung ein, die zum Zufluss einer Dividende iSv. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 11 EStG führen könnte. Ebenso wenig haben bilanzierende Gesellschafter einen aktivierungsfähigen Anspruch. Die Thesaurierung von Gewinn ist demnach zwingend steuerneutral. Dies gilt auch – jedenfalls bislang – für den Mehrheitsgesellschafter, der es jederzeit in der Hand hat, Gewinnvortrag oder Gewinnrücklage an sich auszuschütten, wenn entsprechende Beschlüsse mit einfacher Mehrheit, was in der Regel der Fall ist, beschlossen werden können.

Mit der hier besprochenen Entscheidung vom 28.9.2021 schließt der VIII. Senat des BFH daran an und sieht keinen Grund bei einer partiellen, nach Gesellschaftern differenzierenden Thesaurierung anders zu verfahren. Auch die gesellschafterbezogene Rücklage stellt Eigenkapital der Gesellschaft dar. Sie löst keinen Anspruch des Gesellschafters auf Auszahlung von Gewinn aus. In Konsequenz dessen kommt der VIII. Senat des BFH zu dem Ergebnis, dass die Bildung einer gesellschafterbezogenen Rücklage noch keine Ausschüttung iSv. § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 11 EStG darstellt. Der VIII. Senat sieht auch keine Abweichung zu der ständigen Rechtsprechung des BFH bezüglich der Fiktion des Zuflusses beim beherrschenden Gesellschafter (vgl. aus der neueren Rechtsprechung: FG Münster vom 17.1.2020 4 K 1526/16 E, EFG 2020, 525; FG Baden-Württemberg vom 23.7.2019 8 K 1194/15, EFG 2020, 1513; FG Münster vom 4.9.2019 4 K 1538/16 E, G, DStRE 2020, 204). Insoweit weist die Entscheidung darauf hin, dass die Finanzrechtsprechung eine Fiktion des Zuflusses beim beherrschenden Gesellschafter nur dann vornimmt, wenn der Anspruch gegen die Gesellschaft als solcher entstanden ist, aber abweichende Fälligkeiten vereinbart werden. Nur für diesen Fall des Herausschiebens der Fälligkeit fingiert die Finanzrechtsprechung beim beherrschenden Gesellschafter den Zufluss.

Für die Praxis bedeutet die Entscheidung, dass nun rechtssicher gestaltet werden kann. Für einzelne Gesellschafter kann durch Einstellung des Gewinns in gesellschafterbezogenen Gewinnrücklagen die Ausschüttung vermieden werden, während Gesellschafter, die Liquidität benötigen, zeitgleich ihren Gewinn ausgeschüttet erhalten. Eine Dividendenbesteuerung für die in gesellschafterbezogene Rücklagen eingestellten Gewinne findet erst statt, wenn diese aufgelöst und der darin thesaurierte Gewinn an die betroffenen Gesellschafter ausgezahlt wird. Einen Gestaltungsmissbrauch lehnt der VIII. Senat des BFH ausdrücklich ab. Es sei weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn im Übrigen vorerst einbehalten wird.

Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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