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Streit um die Sicherheitsleistung bei der Aussetzung von Grundlagenbescheiden – der BFH erklärt, wo welcher Antrag zu stellen ist

Der BFH hat sich in einem Beschluss vom 24.5.2023 grundlegend zu der Frage geäußert, auf welchem Weg der Steuerpflichtige sich gegen die Anordnung einer Sicherheitsleistung wehren kann, wenn es ihm um die Aussetzung der Vollziehung (AdV) von Steuerforderungen geht, die auf einem angefochtenen Grundlagenbescheid beruhen (BFH vom 24.5.2023 – X B 22/22).

Die Entscheidung betraf eine sog. „Goldfinger-Gestaltung“. Die Kläger waren an einer in London ansässigen Personengesellschaft (General Partnership) beteiligt und stritten mit dem für die Gewinnfeststellung zuständigen deutschen Finanzamt um die Berücksichtigung von Verlusten aus Goldhandelsgeschäften im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts. Es ging um Einkommensteuer für 2007 in Höhe von immerhin 19,5 Mio. Euro. Das für die Gewinnfeststellung der englischen Gesellschaft zuständige Finanzamt (Gerichtsbezirk Düsseldorf) hatte die Aussetzung der Vollziehung gewährt; das für die Einkommensteuer der verheirateten Kläger zuständige Finanzamt in Hessen wollte die Aussetzung der Folgebescheide von einer Sicherheitsleitung in Höhe von 10 Mio. Euro abhängig machen.

In einer solchen Situation sind für den Betroffenen zwei Wege denkbar, um sich gegen die angeordnete Sicherheitsleitung zu wehren: Man kann die AdV-Entscheidung des Einkommensteuer-Finanzamts angreifen und dort den Antrag stellen, die AdV ohne die Auflage einer Sicherheitsleistung zu gewähren; man kann aber auch gegen die AdV-Entscheidung des Feststellungs-Finanzamts vorgehen und geltend machen, dass in dem dortigen Bescheid die Anordnung einer Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen werden muss. Diese Option wird vom Gesetz in § 361 Abs. 3 Satz 2 AO und in § 69 Abs. 2 Satz 6 FGO ausdrücklich eröffnet.

Der X. Senat des BFH hat in dem lesenswerten Beschluss vom 23.5.2023 entschieden, dass danach zu differenzieren ist, mit welchem Argument der Verzicht auf eine Sicherheitsleistung geltend gemacht wird:

  • Beruft sich der Steuerpflichtige darauf, dass die Anordnung einer Sicherheitsleistung unverhältnismäßig ist, da er sie nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, ist der Weg zum Einkommensteuer-Finanzamt eröffnet. Diese Frage ist im Rahmen einer Ermessensausübung durch das Finanzamt zu entscheiden, dass für den Folgebescheid zuständig ist. 
  • Macht der Steuerpflichtige hingegen geltend, dass die Anordnung der Sicherheitsleistung unzulässig ist, da die Erfolgsaussichten so weit überwiegen, dass im Hauptsacheverfahren „mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit“ ein günstiger Prozessausgang zu erwarten ist, dann steht nach Auffassung des BFH nur der Weg zum Feststellungs-Finanzamt offen. Dieses Argument könne nur im Verfahren um die Rechtmäßigkeit des Grundlagenbescheids geprüft werden, die Prüfung dieser Frage erfolge dort dann mit Bindungswirkung für das Finanzamt, das für den Folgebescheid zuständig ist.

Die Entscheidung des BFH ist gut begründet und dürfte fortan als Leitlinie in der Beratung zu beachten sein. Soll für den Mandanten bei einem Streit um Grundlagenbescheide die AdV ohne Sicherheitsleistung erstritten werden, so muss der Berater / die Beraterin überlegen, welche Argumente angeführt werden sollen. Ggf. sind zwei Anträge zu stellen, wenn man sein Glück auf beiden Wegen versuchen will.

Die Kläger im Verfahren des BFH hatten dies übrigens bedacht und hatten (nachdem die Finanzbehörden auf der Sicherheitsleistung bestanden) Anträge sowohl beim Finanzgericht Düsseldorf als auch beim Hessischen Finanzgericht in Kassel gestellt. Der Antrag im Festsetzungsverfahren der Partnership in Düsseldorf war erfolgreich, dort wurde mit Beschluss vom 8.8.2022 die AdV ohne Sicherheitsleistung angeordnet (FG Düsseldorf 13 V 975/22 A (F)), nachdem die Kollegen in Kassel den Antrag im Einkommensteuerverfahren mit Beschluss vom 20.1.2022 zurückgewiesen hatten (Hessisches Finanzgericht 11 V 1077/21). Die Anordnung aus Düsseldorf entfaltete Bindungswirkung für den Streit um die AdV des Einkommensteuerbescheids. Die Kläger haben so ihr eigentliches Ziel erreicht.

Allerdings führte dies dann zu einer unschönen Kostenentscheidung. Denn das Hessische Finanzgericht hatte gegen seine ablehnende Entscheidung die Beschwerde zugelassen, die die Kläger eingelegt hatten, wodurch der Fall überhaupt erst zum BFH kam. Nachdem das hessische Einkommensteuer-Finanzamt noch im August 2022 die Anordnung aus Düsseldorf befolgt und die AdV ohne Sicherheitsleistung gewährt hatte, war das Verfahren vor dem BFH von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt worden. Der BFH hatte nur noch über die Kosten zu entscheiden – und die Kosten wurden den (in der Sache eigentlich erfolgreichen) Klägern auferlegt. Warum? Ja weil der BFH eben davon ausging, dass der Antrag in dem Hessischen-Einkommensteuerverfahren nur mit dem Argument der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit begründet werden konnte und in diesem Punkt sah der BFH die Argumente der Kläger als nicht ausreichend an.

Der Fall illustriert insofern anschaulich die Probleme der „aufgespaltenen“ Antragsmöglichkeiten. Denn wenn die Betroffenen sich entscheiden, beide Argumente in den separaten Verfahren geltend zu machen, dann verdoppelt sich das Kostenrisiko. In AdV-Verfahren soll sich der Gegenstandswert nach den Vorgaben des BFH zwar nur auf 10 % des eigentlichen Ausgangsstreitwerts belaufen. Bei höheren Streitwerten sollte aber gleichwohl sorgfältig abgewogen werden, welchen Antrag man stellt.

Merkposten ist zudem, dass der Berater / die Beraterin sich nicht nur auf den Streit um die AdV der Folgebescheide fokussiert. Denn das materielle Argument der weit überwiegenden Erfolgsaussichten ist im Verfahren um den Grundlagenbescheid geltend zu machen. Wer dies übersieht läuft Gefahr, sich im Streit um die AdV des Folgebescheids eine blutige Nase zu holen, selbst wenn man (vielleicht zu Recht) die Rechtsposition des Finanzamts für grob unzutreffend hält.
 

Dr. Martin Wulf
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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