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Steuerverfahrensfallen bei Steuerbescheiden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung

Häufig ergehen Steuerbescheide, gerade im unternehmerischen Bereich, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Bescheid bleibt materiell vollständig änderbar, materielle Bestandskraft tritt zunächst nicht ein.

Sorgsam ist hier die Frage zu prüfen, ob der zunächst „nur“ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassene Steuerbescheid nicht doch mit dem Einspruch angefochten werden sollte.

Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO eröffnet nicht die Möglichkeit der AdV

Wird der unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Bescheid nicht mit dem Einspruch angefochten und verstreicht  die Einspruchsfrist, kann, wenn im weiteren Verlauf die Vollstreckung einstweilig unterbunden werden soll, eine AdV grundsätzlich nicht mehr erwirkt werden.

§ 361 Abs. 1 AO erlaubt die Gewährleistung der AdV nur, wenn ein Einlegung eingelegt worden ist. Der bloße Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO berechtigt daher nicht zum Antrag auf AdV.

Die Situation ändert sich auch nicht, wenn das Finanzamt den Antrag des Steuerpflichtigen auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO ablehnt. Der Ablehnungsbescheid ist zwar ein Verwaltungsakt, gegen den der Einspruch statthaft ist. Allerdings handelt es bei einem solchen Einspruch um einen sog. Verpflichtungseinspruch, der darauf gerichtet ist, die Finanzverwaltung zu einer Abänderung des Bescheids zugunsten des Steuerpflichtigen zu verpflichten.

Aussetzung der Vollziehung wird nach § 361 Abs. 1 AO hingegen nur dann gewährt, wenn sich der Einspruch gegen einen vollziehbaren Steuerbescheid richtet. Aus diesem Grund gehen herrschende Meinung und Rechtsprechung davon aus, dass AdV nur dann gewährt werden kann, wenn ein unmittelbar vollziehbarer Steuerbescheid angefochten, dh. dessen teilweise oder vollständige Aufhebung geltend gemacht wird (sog. Anfechtungseinspruch). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein die Einkommensteuerpflicht festsetzender Steuerbescheid oder ein unmittelbar Besteuerungsgrundlagen festsetzender Feststellungsbescheid angegriffen wird mit dem Ziel der vollständigen oder teilweisen Aufhebung/Reduktion der festgesetzten Steuer/festgestellten Besteuerungsgrundlage.

Hingegen ist der Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO und auch - nach entsprechendem Ablehnungsbescheid - der diesbezügliche Einspruch auf ein Verpflichtungsbegehren gerichtet (SPECKER in BeckOK AO, 11. Edition 2020, § 164 Rz. 156). AdV nach § 361 AO oder § 69 FGO kann aber nur in Anfechtungssituationen gewährt werden.

An Stelle der AdV kommt für diesen Fall nur ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an das Finanzgericht nach § 114 FGO in Betracht, der allerdings - im Vergleich zur AdV - an erheblich höhere Voraussetzungen geknüpft ist (BFH vom 9.8.1994, IV S 8/94, BFH/NV 1995, 409; OELLERICH in Gosch, AO/FGO, 151. EL, § 164 AO, Rz. 116; PETERS in BeckOK AO, 11. Edition 2020, § 172 Rz. 181, § 173 Rz. 282; SCHEEL in Beck'sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, 50. Edition 2020, Einstweilige Anordnung Rz. 1; STAPPERFEND in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 114 Rz. 21). Ein solcher Antrag zum Finanzgericht ist nach § 114 FGO ohne Vorverfahren beim Finanzamt zulässig. Im Rahmen der Begründetheit sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Es handelt sich um einen Fall der Regelungsanordnung nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO, da der Antragsteller eine Erweiterung seiner Rechtsposition (nämlich die Änderung des Bescheids) erreichen und nicht den Status quo beibehalten will (OELLERICH in Gosch, AO/FGO, 151. EL, § 164 AO, Rz. 116, 114). Damit keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt, sollte der Antrag auf eine vorläufige Maßnahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache gerichtet sein. Vorzutragen ist hier auch, dass der mit dem Einspruch geltend gemachte Änderungsanspruch ohne die einstweilige Anordnung vereitelt oder seine Durchsetzung wesentlich erschwert werden könnte (STAPPERFEND in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 114 Rz. 35). § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sieht insofern vor, dass durch die einstweilige Anordnung wesentliche Nachteile für den Steuerpflichtigen oder drohende Gewalt verhindert werden können oder die einstweilige Anordnung aus anderen Gründen (zB Bedrohung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz) nötig erscheint.

Beraterhinweis: AdV wird in vorstehend beschriebenen Situationen erst dann wieder möglich, wenn das Finanzamt die eigentliche Steuerfestsetzung später nochmals abändert: erst dann kann gegen den die Festsetzung ändernden Bescheid wieder ein Anfechtungseinspruch eingelegt und AdV beantragt werden. Ggf. muss also eine solche Änderung der eigentlichen Steuerfestsetzung gegenüber dem Finanzamt „provoziert“ werden, um mit der AdV „wieder im Rennen“ zu sein.

Der Vorbehalt der Nachprüfung schützt in der Regel nicht vor Eintritt der Festsetzungsverjährung

Aus einem weiteren Grund muss wohl überlegt sein, ob ein Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nicht doch vorsorglich mit dem Einspruch angefochten wird. Denn mit Eintritt der Regelverjährung entfällt, mit wenigen Ausnahmen, nach § 164 Abs. 4 AO - ggf. „klammheimlich“ - der Vorbehalt der Nachprüfung und der Bescheid wird materiell bestandskräftig. Nur der erhobene Einspruch oder die Klage helfen hier nach § 171 Abs. 3a AO, den Ablauf der Festsetzungsfrist zu hemmen.

Fazit: Im Zweifelsfalls sollte der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassene Bescheide, wenn aus Sicht des Mandanten Möglichkeiten der Reduktion der Steuerfestsetzung jedenfalls nicht ausgeschlossen sind, vorsorglich mit dem Einspruch angefochten werden, um dem Risiko eines Rechtsverlusts vorzubeugen.
 

Dr. Isabel Leinenbach
Referendarin

Dr. Markus Wollweber
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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