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Neues vom BGH zur Steuerberaterhaftung bei unerkannter Sozialversicherungspflicht

I. Einleitung

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH muss der Berater, der im Auftrag des Arbeitgebers die Lohnabrechnung besorgt, grundsätzlich auch prüfen, ob für Arbeitnehmer eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht komme, wenn Beiträge nicht abgeführt werden. Bei Unklarheiten oder sozialversicherungsrechtlichen Schwierigkeiten sei der Berater gehalten, diese durch Rückfragen auszuräumen oder auf die Einschaltung eines hierfür fachlich geeigneten Beraters hinzuwirken (etwa BGH vom 12.2.2004 IX ZR 246/02). 

In einer aktuellen Entscheidung vom 8.2.2024 hat der BGH diese Rechtsprechung nunmehr fortentwickelt. 


II. Entscheidung des BGH vom 8.2.2024 IX ZR 137/22

1. Sachverhalt

Die Beklagte, eine aus Rechtsanwälten und Steuerberatern bestehende Partnerschaftsgesellschaft, war seit der Gründung der Klägerin, einer GmbH, von dieser mit der Lohnbuchhaltung beauftragt. Hierbei wurden die drei Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer als selbständig behandelt und deshalb für sie keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin sah eine Beteiligung der Gesellschafter zu gleichen Teilen und eine Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit vor. Eine Sperrminorität zugunsten eines Gesellschafters war nicht vorgesehen. 

Bei der Gründung hatten sich die drei Gesellschafter der Klägerin von der Handwerkskammer sowie von einem Versicherungsmakler beraten lassen.

Nachdem die Deutsche Rentenversicherung bei einer Betriebsprüfung Nachzahlungen iHv. ca. € 260.000,-- festsetzte, erhob die Klägerin gegen die Beklagte eine Klage auf Schadensersatz dem Grunde nach. Erstinstanzlich wurde der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. 

2. Entscheidung

Der BGH folgte den Vorinstanzen nicht. Er nahm eine Hauptpflichtverletzung durch die Beklagte an, konnte aber einen kausalen Schaden der Klägerin (noch) nicht feststellen: 

  • Für einen Lohnbuchhalter bestehe grundsätzlich keine eigene Pflicht zur sozialversicherungsrechtlichen Beratung. Lohnbuchhaltung sei keine Rechtsberatung, sondern eine Hilfeleistung bei der Erfüllung der Buchführungspflichten. Dies gelte auch dann, wenn ein Steuerberater, ein Rechtsanwalt oder eine aus Steuerberatern und Rechtsanwälten bestehende Berufsausübungsgesellschaft ein reines Lohnbuchhaltungsmandat übernimmt. Die (Haupt-)Pflichten eines Mandats bestimmten sich nach dem konkret übernommenen Auftrag. Dieser lege fest, welche (Rechts-)Kenntnisse sich der Auftragnehmer verschaffen muss.
  • Der Lohnbuchhalter habe – so der BGH weiter – für die Frage der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung vielmehr nach einer verbindlichen Vorgabe durch den Auftraggeber zu verfahren. Hat der Auftraggeber keine verbindliche Vorgabe zur statusrechtlichen Einordnung gemacht, müsse der Lohnbuchhalter auf eine Klärung der Frage der Sozialversicherungspflicht durch den Auftraggeber hinwirken, sofern die Frage weder anderweitig (hinreichend) geklärt noch die statusrechtliche Einordnung zweifelsfrei ist. In dieser Situation müsse der Lohnbuchhalter dem Auftraggeber die Möglichkeit einer rechtssicheren Klärung aufzeigen, etwa durch Einholung anwaltlichen Rats oder durch Klärung der Statusfrage im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV oder eines Verfahrens vor den Einzugsstellen der Krankenkassen nach § 28h II SGB IV und ihn um Entscheidung zum weiteren Vorgehen und zur statusrechtlichen Behandlung des Mitarbeiters im Rahmen der Lohnbuchhaltung ersuchen. 
  • Anderweitig geklärt ist die sozialversicherungsrechtliche Statusfrage nach Auffassung des BGH insbesondere dann, wenn sie anwaltlich geprüft ist oder wenn – auch ohne dass Bescheide erlassen wurden – die bisherige Einordnung im Rahmen einer Betriebsprüfung der Rentenversicherung nach § 28p SGB IV unbeanstandet geblieben ist. Weder von einem Arbeitgeber noch von einem Lohnbuchhalter könne erwartet werden, noch kritischer zu sein als der zuständige Prüfdienst. 
  • Soweit den Ausführungen des Senats in früheren Entscheidungen entnommen werden könne, dass ein Lohnbuchhalter die Sozialversicherungsfreiheit eines Mitarbeiters des Auftraggebers zunächst eigenständig zu prüfen und zu beurteilen habe, werde daran nicht festgehalten. 
  • Das Berufungsgericht hätte im Rahmen der Kausalitätsprüfung feststellen müssen, wie das hypothetische Alternativverhalten der Klägerin bei (unterstellt) ordnungsgemäßer Beratung gewesen wäre. Die Beklagte hafte nur für solche Sozialversicherungsbeiträge, die bei pflichtgemäßem Verhalten nicht angefallen wären. Das Berufungsgericht hätte daher den Zeitpunkt der Änderung des Gesellschaftsvertrags oder feststellen müssen, dass die rechtzeitige Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens eine auf den Beginn der beitragspflichtigen Tätigkeit rückwirkende Beitragspflicht gehindert hätte (§ 7a V SGB IV). 


III. Fazit und Schlussfolgerungen für die Praxis

Es ist zu begrüßen, dass der BGH nicht (mehr) davon ausgeht, dass ein Lohnbuchhalter die Sozialversicherungsfreiheit eines Mitarbeiters des Auftraggebers zunächst eigenständig zu prüfen und beurteilen habe. Liegt eine verbindliche Vorgabe des Auftraggebers zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung nicht vor, kann der Lohnbuchhalter allerdings ggf. verpflichtet sein, dem Auftraggeber die Möglichkeiten einer rechtssicheren Klärung der Statusbeurteilung aufzuzeigen, zB durch Einholung anwaltlichen Rats oder im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens. In der Praxis empfiehlt sich zur Beweissicherung die Verschriftlichung und Archivierung dieses Hinweises.

Für die Abwehr von Steuerberaterhaftungsansprüchen ist die Feststellung des Senats, wonach durch eine beanstandungsfreie Vor-Betriebsprüfung der Rentenversicherung die Statusfrage als geklärt anzusehen und der Vorwurf einer Pflichtverletzung des Steuerberaters als unberechtigt anzusehen ist, sehr bedeutsam. Der Lohnbuchhalter müsste nicht kritischer sein als der zuständige Prüfdienst. 

Doch selbst dann, wenn in Haftungsfällen eine Pflichtverletzung des Lohnbuchhalters naheliegend erscheint, führt dies nicht ohne Weiteres zur Annahme eines vom Berater zu ersetzenden Schadens. Insoweit braucht es insbesondere substantiierten Vortrag von Anspruchstellerseite dazu, wann, wie und mit welchen Vermögensfolgen genau der Auftraggeber reagiert hätte, wenn ihm die Möglichkeit der rechtssicheren Klärung aufgezeigt worden wäre. Eine Haftung kommt nur für solche Sozialversicherungsbeiträge in Betracht, die bei pflichtgemäßem Verhalten nicht angefallen wären.

Dr. Christian Bertrand
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Partner
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Dr. Carina Freitag
Rechtsanwältin, Steuerberaterin
Senior Associate
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