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Krypto-Verluste: Billigkeitserlass zur Sicherung des Existenzminimums?

Kryptogeschäfte sind Risikogeschäfte. Neben hohen Gewinnen können Anlegern auch hohe Verluste entstehen. Solche Verluste dürfen nur mit Gewinnen derselben Einkunftsart verrechnet werden (§ 23 Abs. 3 Satz 7 f. EStG). Dies kann in bestimmten Konstellationen dazu führen, dass die Verluste steuerlich „ungenutzt“ bleiben – etwa dort, wo sich Anleger vom klassischen Handel abwenden und vermehrt auf „alternative“ Formen setzen wie zum Beispiel Staking oder Lending. Diese Einkünfte werden nicht als private Veräußerungsgeschäfte gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfasst, sondern als sonstige Leistungen iSd. § 22 Nr. 3 EStG. Ein vertikaler Verlustausgleich zwischen beiden Einkunftsarten ist ausgeschlossen (RATSCHOW in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, EStG § 23 Rz. 340, Stand August 2023).      

Eine aktuelle Entscheidung des FG Köln, die zu Verlusten aus Stillhaltegeschäften ergangen ist, eröffnet interessante Perspektiven zur Nutzung von Kryptoverlusten (Urteil vom 26.4.2023 5 K 1403/21). 

 

Entscheidung des FG Köln 

Im Urteilsfall erlitt die Klägerin im VZ 2002 ua. Verluste aus Stillhaltegeschäften. Aufgrund der Verlustausgleichsbeschränkungen (§§ 22 Nr. 3 Sätze 3 und 4, 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG aF) erfolgte keine Verrechnung mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten. 

Die Klägerin beantragte eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 Abs. 1 Satz 2 AO. Begründung: Die festgesetzten Steuern überstiegen das Existenzminimum, das Verfassungsgebot der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums sei verletzt. 

Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Bei hochspekulativen Geschäften, wie den streitgegenständlichen Optionsgeschäften, treffe die Klägerin das Risiko des Fehlschlagens. Eine Berücksichtigung daraus resultierender Verluste im Wege der Billigkeitsfestsetzung verstoße gegen den Verfassungsgrundsatz der gleichmäßigen Besteuerung. Aufgrund der Möglichkeit der Verlustverrechnung im jeweiligen Verlustkreis dürfe für die Frage der Unbilligkeit nicht allein auf den streitigen Veranlagungszeitraum abgestellt werden. Vielmehr müsse eine zeitraumübergreifende Betrachtung vorgenommen werden.    

Das FG folgte dem FA nicht und gab der Klägerin Recht. Die wesentlichen Punkte: 

  •  Auch in Fällen, in denen der Steuerpflichtige durch Eingehen risikoreicher Spekulationsgeschäfte selbst zur Verlustentstehung beigetragen habe, müsse das Existenzminimum steuerlich verschont werden.
  •  Die Verschonung sei für jedes Jahr vorzunehmen; eine Gesamtbetrachtung über mehrere Jahre sei nicht zulässig.

 

Revision zugelassen 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das FG hat die Revision zugelassen und dem BFH die Rechtsfrage vorgelegt, ob das Existenzminimum für jedes Jahr steuerfrei zu belassen oder eine Gesamtbetrachtung über mehrere Jahre vorzunehmen sei (BFH IX R 18/23). 

 

Beraterhinweis 

Die Entscheidung des FG betrifft im engeren Sinne zwar nur Einkünfte aus sonstigen Leistungen iSd. § 22 Nr. 3 EStG. Die Argumentation des FG lässt sich uE aber auf private Veräußerungsgeschäfte übertragen (§ 23 Abs. 3 Sätze 7 und 8 EStG nF). 

Berater sollten ihre Mandanten auf die Möglichkeit eines Antrags gemäß § 163 Abs. 1 AO hinweisen und gegen die Ablehnung Einspruch einlegen. Unter Hinweis auf das anhängige Revisionsverfahren kann das Ruhen des Verfahrens beantragt werden. Sobald die Entscheidung des BFH vorliegt, informieren wir Sie mit einem neuen Newsletter.

Michael Görlich
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Counsel
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