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Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Aussetzungszinsen

Unlängst hat der BFH (vom 25.4.2018 IX B 21/18, BStBl. II 2018, 418) entschieden, dass die Zinssatzhöhe in §§ 233a AO iVm. 238 Abs. 1 Satz 1 AO durch ihre realitätsferne Bemessung mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das sich aus dem Rechtstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Übermaßverbot für den Zeitraum vom 1.4.2015 bis 16.11.2017 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln begegne.

In einer aktuellen Entscheidung hat das FG Münster (vom 31.8.2018 9 V 2360/18 E (juris), Beschwerde anhängig: VIII B 128/18) auf Grundlage dieser Entscheidung ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der §§ 237, 238 AO angemeldet, soweit der einfach gesetzliche Zinssatz im Zeitraum vom 1.1.2014 bis 31.3.2015 über 0,25 % pro Monat beträgt. Mit dieser Entscheidung stellt das Finanzgericht klar, dass die Rechtsprechung des BFH zur Zinsfestsetzung gem. § 233a AO auf die Verzinsung nach § 237 AO übertragbar ist. Darüber hinaus hat das FG Münster unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des BFH ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des in § 238 Abs. 1 AO normierten Zinssatzes auch auf Zinszeiträume ab dem Jahr 2014 ausgedehnt. Allerdings ist nach Auffassung des FG Münster keine Aussetzung der Vollziehung in vollem Umfang geboten, sondern nur sofern der angesetzte Zinssatz 3 %/Jahr übersteige. Das FG Münster orientiert sich dabei unter griffweiser Schätzung an der Neufassung der gesetzlichen Regelung zur Bemessung der Verspätungszuschläge gem. § 152 Abs. 5 AO die für jeden Monat 0,25 % beträgt, also einem Jahreszins von 3 % entspricht.

Praxisempfehlung: Die Finanzverwaltung wendet den Beschluss des BFH vom 25.4.2018 für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2015 auf Antrag des Zinsschuldners in allen Fällen an, in denen gegen eine vollziehbare Zinsfestsetzung, in der der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO zugrunde gelegt wird, Einspruch eingelegt wurde (BMF vom 14.6.2018 IV A 3-S 0465/18/10005/01, BStBl. I 2018, 722). Durch die Entscheidung des FG Münster wird es sich künftig umso mehr lohnen, auch für Zinszeiträume vor dem Jahr 2015 die Verfahren über den Einspruch offenzuhalten. Dies gilt nicht nur für Verzinsungszeiträume ab 2014. Beim BVerfG sind derzeit weitere Verfahren gegen die Zinssatzhöhe in früheren Jahren anhängig (1 BvR 2237/14 für Zeiträume nach dem 31.12.2009 und 1 BvR 2422/17 für Zeiträume nach dem 31.12.2011).

Dr. Christian Bertrand
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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