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Einspruch richtig formulieren

Erhöhte Anforderungen an den „fachkundigen Bevollmächtigten“ – und wie man ihnen gerecht wird.

Die Auslegung von Einsprüchen sorgt in der Praxis immer wieder für Probleme. Eine aktuelle Entscheidung des BFH vom 12.10.2023 (V R 42/21) führt dies vor Augen. An einen „fachkundigen Bevollmächtigten“ stellt der BFH erhöhte Anforderungen. Wir nehmen die Entscheidung zum Anlass, um auf Basics zur Einlegung von Einsprüchen – insbesondere die praxisrelevanten Sammelbescheide betreffend – einzugehen.


I. Der BFH-Fall – Späte Wende in der Revisionsinstanz

Nach einer Umsatzsteuer-Nachschau waren der Kläger und das Finanzamt unterschiedlicher Auffassung über die Abzugsfähigkeit von Vorsteuer aus Rechnungen über den Erwerb einer Photovoltaikanlage. Vor diesem Hintergrund ergingen zwei Bescheide an den Kläger:

  • Zunächst erging ein Bescheid, mit dem der Beklagte einen Antrag auf Änderung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für den Monat Oktober 2009 ablehnte. 
  • Später erging der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009, in dem der Beklagte von der eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung abwich.

Der Kläger legte durch seine steuerliche Vertreterin – so meinte man – Einspruch ein und stritt mit dem Finanzamt um den Vorsteuerabzug. Nach Ergehen der Einspruchsentscheidung setzten die Beteiligten den Rechtsstreit vor dem Finanzgericht Thüringen fort. Dieses erließ ein abweisendes Urteil. Darin ging das Finanzgericht ausführlich auf die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug ein und erachtete den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 als rechtmäßig. Die Auslegung des Einspruchs des Klägers thematisierte es mit keinem Wort.

Im Revisionsverfahren nahm der Fall eine überraschende Wende: Die vom Kläger begehrte Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids 2009 schied schon deshalb aus, weil der Kläger dagegen nicht wirksam Einspruch eingelegt hatte. Grund war, dass der Betreff des Einspruchsschreibens neben den Daten des Klägers den Text „Antrag auf Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat 10-2009“ beinhaltet hatte. In der Begründung hatte die Steuerberaterin des Klägers ausgeführt: „Gegen den o.a. Bescheid lege ich hiermit Einspruch ein. Der Einspruch richtet sich gegen die Nichtanerkennung der Rechnungen für den Vorsteuerabzug“.

Der BFH urteilte, dass ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, nicht dahingehend auslegungsfähig ist, dass auch ein weiterer – im Einspruchsschreiben nicht benannter – Steuerbescheid angefochten werden soll (BFH V R 42/21, aaO).


II. Was folgt daraus für die Praxis?

Wenngleich der BFH hier bekannte Grundsätze anwendet hat, verdeutlicht die Entscheidung zwei Dinge:

Erstens lässt es sich der BFH nicht nehmen, in eindeutig gelagerten Fällen noch in der Revisionsinstanz über die Reichweite des Einspruchs zu entscheiden. An sich ist die Auslegung des Einspruchs Gegenstand der vom Finanzgericht zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden ist. Über das Kriterium der „Auslegungsfähigkeit“ behält sich der BFH jedoch den bildlichen Fuß in der Tür: Die erstinstanzliche Entscheidung entfaltet nämlich keine Bindungswirkung, wenn der Einspruch bereits nicht auslegungsfähig ist. In eindeutig gelagerten Fällen wie dem vorliegenden ist dies nicht gegeben (BFH V R 42/21, aaO, Rz. 15).

Zweitens spielt es für den BFH eine entscheidende Rolle, ob der Kläger steuerlich durch einen „fachkundigen Bevollmächtigten“ vertreten ist. Hiervon hängt die Reichweite der sog. „rechtsschutzgewährenden Auslegung“ ab. Es darf deshalb nicht verkannt werden, dass gerade an Einsprüche, die durch Steuerberater oder Rechtsanwälte eingelegt werden, höhere Ansprüche zu stellen sind.


III. Was Beratende bei der Einlegung von Einsprüchen beachten sollten

Wir nehmen die Entscheidung des BFH zum Anlass, um auf wichtige Grundregeln zur Einlegung von Einsprüchen einzugehen. Soll der Steuerstreit nicht bereits zu Ende sein, bevor er überhaupt begonnen hat, sind folgende Basics zu beachten:

1. Liegen – wie im BFH-Fall – mehrere gesonderte Steuerbescheide vor, so sollten beide ausdrücklich im Einspruchsschreiben bezeichnet werden.

2. Die Beratungspraxis zeigt, dass gerade Sammelbescheide häufig der Ausgangspunkt für Streitigkeiten über die Reichweite von Einsprüchen sind. Eine Sensibilisierung des Beraters für solche Sammelbescheide ist von überragender Bedeutung, damit der Steuerstreit nicht schon zu Ende ist, bevor er angefangen hat. Beispiele:

  • Ein Sammelbescheid liegt vor, wenn mit der Steuerfestsetzung eine Zinsfestsetzung verbunden wird (vgl. Niedersächsisches FG vom 14.5.2019 11 V 108/19, BB 2019, 1640).
  • Mit dem Bescheid über die „gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Betriebsvermögens (§§ 95, 96 BewG) nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG“ werden regelmäßig weitere – einzeln zu bezeichnende – Feststellungen verbunden (so etwa die Feststellung des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 bis 4 ErbStG).
  • Auch im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb können mehrere Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden (vgl. nur BFH vom 23.10.1989 GrS 2/87, BStBl. II 1990, 327 mwN). Etwa handelt es sich bei der „Feststellung der Vergütungen auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage“ und der „Feststellung des Gewinns aus Sonderbetriebsvermögen“ um selbständig anfechtbare Feststellungen (BFH vom 17.3.2021 IV R 20/18, BStBl. II 2021, 904; vom 20.8.2015 IV R 12/12, BFH/NV 2016, 412).

3. In unübersichtlichen Fällen hat sich die Formulierung bewährt, dass der in Rede stehende Bescheid „vollumfänglich, dh. hinsichtlich aller darin enthaltenen Feststellungen und Verwaltungsakte“ mit dem Einspruch angefochten wird.

4. Schließlich ist bei der Begründung des Einspruchs gegen Sammelbescheide Vorsicht geboten:

  • Wird der Sammelbescheid unter Wiedergabe der (amtlichen) Bescheidbezeichnung angefochten, ohne dass zunächst konkrete Einwendungen gegen einen bestimmten Verwaltungsakt erhoben werden, kann mit einem späteren Begründungsschreiben eine Konkretisierung auf einen bestimmten Bescheid erfolgen. Dies gilt selbst für Begründungen außerhalb der Einspruchsfrist (BFH vom 20.10.2019 IX R 4/19, BStBl. II 2020, 368).
  • Enthält ein zunächst unspezifisch auf verbundene Bescheide bezogenes Einspruchsschreiben eine Begründung, ist der Gegenstand der Anfechtung anhand dieser Begründung einengend auszulegen. Werden später –  außerhalb der Einspruchsfrist – Einwendungen gegen einen weiteren verbundenen, aber in der ursprünglichen Begründung nicht angesprochenen Verwaltungsakt erhoben, steht dem die Bestandskraft dieses Bescheids entgegen (BFH IX R 4/19, aaO, mwN).
Prof. Dr. Burkhard Binnewies
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Markus Surmann
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