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BVerfG zur Vorlagepflicht des BFH

Der BFH ist verpflichtet, seine Auslegung zu § 1 Abs. 1 AStG dem EuGH vorzulegen

Der BFH hat mit Urteil vom 14.8.2019 I R 34/18 zur Auslegung des § 1 AStG im Zusammenhang mit Konzerndarlehen und Sicherheiten entschieden, ohne die Frage gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH vorzulegen. Während der BFH in seiner Entscheidung von einem „acte clair“ bzw. einem „acte éclairé“ ausging und deshalb eine Vorabentscheidung durch den EuGH nicht für erforderlich hielt, stellte das BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde durch Kammerbeschluss vom 8.11.2023 2 BvR 1079/20 fest, dass insoweit ein Verstoß gegen das Recht der Prozessparteien auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegt.

 

I. Sachverhalt

1. Eine inländische OHG war Alleingesellschafterin einer italienischen Kapitalgesellschaft. Gegenüber der italienischen Gesellschaft bestanden verzinsliche Forderungen aus einem nicht besicherten Kontokorrentdarlehen. Da sich die italienische Gesellschaft in einer dauerdefizitären Situation befand, verzichtete die OHG in den Streitjahren auf einen Teil ihrer Forderungen gegen Besserungsschein. Die Forderungen wurden insoweit mit dem niedrigeren Teilwert gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG angesetzt. 

2. Im Rahmen einer Betriebsprüfung versagte das Finanzamt den Betriebsausgabenabzug und nahm eine Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG vor. Die hiergegen gerichtete finanzgerichtliche Klage hatte Erfolg. Im Rahmen der Revision hat der BFH das Urteil des Finanzgerichts Hessen aufgehoben und entschieden, dass die Teilwertabschreibung nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprach und deshalb außerbilanziell nach § 1 Abs. 1 AStG zu korrigieren sei. Auch sei die fehlende Besicherung nicht fremdüblich gewesen. Der BFH vertrat zudem die Auffassung, dass die Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG im Einklang mit dem Unionsrecht stehen würde.

 

II. Rechtliche Einordnung

1. Die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zielt darauf ab, Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland zu korrigieren, die aufgrund einer Nähebeziehung zwischen verbundenen Unternehmen nicht zu fremdüblichen Bedingungen abgeschlossen wurden und dadurch zu einer Minderung von Besteuerungsgrundlagen geführt haben. 

2. Die mit der Einkünftekorrektur nach § 1 AStG einhergehende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV kann durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, insbesondere durch die Notwendigkeit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten. Diese kann eine Ungleichbehandlung rechtfertigen, wenn mit der Regelung Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedsstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden. Eine Rechtfertigung kommt daher in Betracht, wenn eine gebietsansässige Gesellschaft eines Mitgliedstaats ihre Gewinne in Form von außergewöhnlichen oder unentgeltlichen Vorteilen auf eine mit ihr verflochtene Gesellschaft überträgt, die in einem anderen Mitgliedsstaat niedergelassen ist.

3. Für den Fall, dass die zu beurteilende Regelung zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis geeignet und erforderlich ist, ist dem Steuerpflichtigen nach der Rechtsprechung des EuGH die Möglichkeit einzuräumen, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss dieses Geschäfts beizubringen, die nicht fremdübliche Bedingungen rechtfertigen können. 

 

III. Entscheidung des BVerfG

1. Das BVerfG gab der zulässigen Verfassungsbeschwerde gegen das im Revisionsverfahren ergangene Urteil des BFH statt, da es die Beschwerdeführerin wegen einer unzureichenden Auseinandersetzung mit der Vorlagepflicht zum EuGH in ihrem Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Das Urteil wurde aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen. 

2. Zwar führt nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht nach § 267 Abs. 3 AEUV gleichzeitig auch zu einer Verletzung des Rechts der Prozessparteien auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies ist nur der Fall, wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts noch keine einschlägige Rechtsprechung des EuGH vorliegt bzw. die bisherige Rechtsprechung diese Frage noch nicht erschöpfend beantwortet hat und das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Jedenfalls dann, wenn die Fachgerichte das Vorliegen eines „acte clair“ oder eines „acte éclairé“ willkürlich bejahen, wird das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. 

3. Aus der Sicht des BVerfG war im Streitfall weder die Annahme eines „acte clair“ noch eines „acte éclairé“ durch den BFH nachvollziehbar. Zum einen war die richtige Anwendung des Unionsrechts auf den vom BFH unter § 1 AStG subsumierten und vom EuGH noch nicht entschiedenen Sachverhalt der Hingabe eines fremdunüblich nicht besicherten Darlehens nicht derart offenkundig, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bestand. Zum anderen fehlte es an einer gefestigten Spruchpraxis zu den Anforderungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).

4. Der BFH verkennt im Rahmen der unionsrechtlichen Auslegung des § 1 Abs. 1 AStG, dass weder die Nichtbesicherung einer Darlehensforderung noch ein späterer Forderungsverzicht gegen Besserungsschein ohne Weiteres zu einem unversteuerten „Hinaustransferieren“ von Gewinnen führt, das geeignet sein könnte, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Zudem kann aus der grundsätzlichen Anerkennung von zur Wahrung einer ausgewogenen Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten geeigneten Regelungen durch den EuGH nicht automatisch eine legitime Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Hinblick auf den im Streitfall vereinbarten Sicherungsverzicht abgeleitet werden.
    
5. Im Übrigen hat der BFH auch nicht berücksichtigt, dass nach der Auffassung des EuGH wirtschaftliche Gründe für den Abschluss eines fremdunüblichen Geschäfts gerade dann vorliegen können, wenn eine Tochtergesellschaft für die Fortführung oder Erweiterung ihres Geschäftsbetriebs auf die Zuführung von Kapital angewiesen ist, weil sie selbst über kein ausreichendes Kapital verfügt. Aus der Sicht des BVerfG bleibt zudem unklar, wieso der BFH scheinbar eine Vollbesicherung des Darlehens fordert, um dem Fremdvergleich zu entsprechen. Das Urteil enthält weder Ausführungen zur üblichen Höhe einer Sicherheit für die konkrete Kontokorrentabrede noch zu möglichen Wechselwirkungen zwischen der Höhe des vereinbarten Zinssatzes und der Stellung von Sicherheiten.
     

Beraterhinweis

Für Rechtsunsicherheit sorgt weiterhin die Frage, welche wirtschaftlichen Gründe der Steuerpflichtige für die Abweichung vom Fremdvergleich vorbringen kann. Da dies bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, muss insoweit die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abgewartet werden.

Dr. Dr. Norbert Mückl
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
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Sinikka Sproll
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