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BGH: Kommunalabgabenhinterziehung verjährt aufgrund mangelhafter Landesgesetzgebung auch bei schweren Fällen grundsätzlich nach fünf Jahren

In ihren Kommunalabgabengesetzen ermächtigen die Länder die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Erhebung kommunaler Abgaben. Um ihren Finanzbedarf zu decken, haben die Kommunen von dieser Befugnis regen Gebrauch gemacht: Sie erheben kommunale Verbrauchsteuern wie die Vergnügungssteuer, die Zweitwohnungssteuer oder die Getränkesteuer sowie kommunale Gebühren wie Abfallbeseitigungsgebühren, Abwassergebühren oder Benutzungsgebühren. Aber auch die sog. sonstigen Beiträge gelten als Kommunalabgaben. Dazu zählen beispielsweise Erschließungsbeiträge und Konzessionsabgaben.

Mit Ausnahme von Grund- und Gewerbesteuern unterfällt die Hinterziehung dieser Kommunalabgaben nicht § 370 AO, weil die Vorschriften der Abgabenordnung gem. § 1 AO nur für Abgaben gelten, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind und durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Die entstehende Gesetzeslücke schließen die Kommunalabgabegesetze der Länder mit eigenen, dem § 370 Abs. 1 AO nachgebildeten Strafvorschriften.

Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Beschluss vom 31.5.2023 (1 StR 340/22) erstmalig mit der Strafverfolgungsverjährung hinsichtlich solcher Abgaben befasst. Danach richte sich die strafrechtliche Verjährungsfrist bei der Abgabenhinterziehung nach den allgemeinen Regeln des § 78 Abs. 3 StGB, sodass die Verjährung grundsätzlich fünf Jahre nach Tatbeendigung eintritt. Nach Auffassung des Gerichts erstreckt sich der in den Landesgesetzen für gewöhnlich zu findende pauschale Verweis auf § 376 AO hingegen nicht ohne Weiteres auf dessen Abs. 1, der seit dem Inkrafttreten des Jahressteuergesetz 2020 am 29.12.2020 eine 15-jährige Verjährungsfrist vorsieht. § 376 Abs. 1 HS. 1 AO setze bereits nach seinem Wortlaut das Vorliegen eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 AO voraus. Das praxisrelevanteste Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 AO ist die Steuerverkürzung in großem Ausmaß (Nr. 1), welche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab einem Hinterziehungsbetrag von € 50.000,-- anzunehmen ist. Aber auch die Regelbeispiele der fortgesetzten Steuerverkürzung unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. 4) oder der bandenmäßigen Umsatz- und Verbrauchssteuerverkürzung (Nr. 5) sind insbesondere im unternehmerischen Bereich immer wieder einschlägig. Sofern das jeweilige Kommunalabgabengesetz – wie das der Entscheidung zugrunde liegende Niedersächsische Kommunalabgabengesetz (NKAG) – in seinen Strafvorschriften besonders schwere Fälle weder unmittelbar selbst noch durch Verweisung auf § 370 Abs. 3 AO regele, fehle für eine entsprechende Anwendung des § 376 Abs. 1 HS 1 AO der tatbestandliche Anknüpfungspunkt.

Im Ergebnis bleibt es deshalb auch in besonders strafwürdigen Sachverhaltskonstellationen der Abgabenhinterziehung bei der strafrechtlichen Regelverjährung des § 78 Abs. 3 StGB von fünf Jahren. Nichts anderes würde nach den Grundsätzen der Entscheidung für viele Konstellationen der Vergnügungssteuerhinterziehung im Zusammenhang mit manipulierten Spielautomaten gelten. Hier fanden sich in der Rechtsprechung zuletzt wiederholt Fälle, in denen aufgrund der Höhe des Verkürzungsbetrags (vgl. BGH vom 19.5.2022 1 StR 405/21, wistra 2022, 510 f.) oder der bandenmäßigen Begehungsweise (BGH vom 16.4.2015 1 StR 490/14, wistra 2015, 431 ff.) isoliert betrachtet die strafschärfenden Merkmale des § 370 Abs. 3 S. 2 AO erfüllt waren.

Der Bundesgerichtshof zeigt den Ländern zu Recht die Grenzen gesetzgeberischer Verweisungstechnik auf. Die Verweisung auf § 376 AO geht nach der Auffassung des Senats gleichwohl nicht ins Leere, weil mit der entsprechenden Anwendung des § 376 Abs. 2 AO ein sinnvoller Anwendungsbereich verbleibe. Nach dieser Vorschrift wird die Verjährung einer Steuerstraftat unterbrochen, wenn dem Beschuldigten die Einleitung eines Bußgelds Verfahrens bekannt gegeben oder diese Bekanntgabe angeordnet wird.

Beraterhinweis: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bezieht sich ausdrücklich naturgemäß allein auf das niedersächsische Landesrecht. Gleichwohl dürften weitere Kommunalabgabengesetze mit den systematischen Erwägungen der Entscheidung angreifbar sein. Der Beschluss selbst zeigt das Potenzial eines solchen Verteidigungsarguments: Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren hinsichtlich eines großen Teils der Vorwürfe eingestellt.
 

Dr. Jonas Joosten
Rechtsanwalt
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Dr. Peter Talaska
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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