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BFH: Zuständigkeit für die Auflösung einer Rücklage nach § 6b EStG nach Ausscheiden eines Mitunternehmers

Veräußert ein Mitunternehmer seinen Mitunternehmeranteil, kann für den nach § 6b EStG begünstigten Teil des Veräußerungsgewinns eine sonderbilanzielle Rücklage gebildet werden. Nach dem Urteil des BFH vom 12.7.2023 X R 14/21 ist in einem solchen Fall über die später wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist erforderliche Auflösung der Rücklage nicht im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft, sondern im Einkommensteuerverfahren des früheren Mitunternehmers zu entscheiden. 

Im Einzelnen:

I. Der Kläger hielt eine 95%-ige Beteiligung an einer KG, die er im Jahr 2006 veräußerte. Er beantragte zunächst erfolglos, den Veräußerungsgewinn, der auf die Wirtschaftsgüter Grund und Boden sowie Gebäude entfiel, in eine Rücklage nach § 6b EStG einzustellen. Erst im Einspruchsverfahren hat das für die KG zuständige Betriebsfinanzamt die Rücklage in einem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für das Jahr 2006 berücksichtigt. Die Einkommensteuer 2006 des Klägers wurde entsprechend herabgesetzt. Gleichzeitig erließ das Wohnsitzfinanzamt des Klägers einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010, löste die Rücklage gewinnerhöhend auf und setzte einen Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG an, da der Kläger die Rücklage nicht innerhalb der Fristen des § 6b Abs. 3 EStG auf ein taugliches Reinvestitionsgut übertragen hatte. Die Änderung wurde auf § 174 Abs. 4 AO gestützt. Hiergegen wandte sich der Kläger im Einspruchs- und Klageverfahren.

II. Streitig war insbesondere, ob das Wohnsitzfinanzamt des Klägers für die Entscheidung über die Auflösung der Rücklage zuständig gewesen ist oder ob diese Entscheidung im Gewinnfeststellungsverfahren der KG hätte getroffen werden müssen. Der Kläger argumentiert, er sei zwar im Streitjahr 2010 nicht mehr Gesellschafter der KG gewesen, jedoch könne über das weitere Schicksal der Rücklage nur in dem Betrieb entschieden werden, in dem sie gebildet und in der Buchführung ausgewiesen worden sei. Außerdem war streitig, ob die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO vorlagen.

III. Der BFH bestätigte die Entscheidung des FG München, wonach das Wohnsitzfinanzamt die Rücklage in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2010 unabhängig von einem Gewinnfeststellungsverfahren der KG auflösen durfte. Die Befugnis zur Änderung der bereits bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 2010 ergibt sich aus § 174 Abs. 4 AO.

IV. Die Besonderheit des entschiedenen Streifalls lag darin, dass der Steuerpflichtige an der Mitunternehmerschaft, in der der Veräußerungsgewinn entstanden und in eine sonderbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG eingestellt worden war, im Zeitpunkt des Ablaufs der Reinvestitionsfrist nicht mehr beteiligt war. In einem solchen Fall kommt eine Auflösung der Rücklage im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens der Mitunternehmerschaft nicht in Betracht. Denn eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen setzt nach § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a) AO voraus, dass an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der Steuerpflichtige aufgrund der Veräußerung seines gesamten Mitunternehmeranteils aus der Mitunternehmerschaft ausgeschieden ist, da er durch das Ausscheiden zum einen seine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an den Einkünften der Gesellschaft verliert und ihm zum anderen die Einkünfte der Mitunternehmerschaft ab diesem Zeitpunkt steuerlich nicht mehr zuzurechnen sind. 

V. Wird die Rücklage nach § 6b EStG im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft erst aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen berücksichtigt, ermöglicht § 174 Abs. 4 AO für den Veranlagungszeitraum des Ablaufs der Reinvestitionsfrist die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des früheren Mitunternehmers, um den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage zu erfassen. Der ursprüngliche Gewinnfeststellungsbescheid für die KG, in dem die Rücklage noch nicht berücksichtigt war, ist insoweit aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ergangen (hier: die Berechtigung des Klägers, den Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils in eine Rücklage nach § 6b EStG einzustellen) und anschließend aufgrund eines Einspruchs des Klägers zu dessen Gunsten geändert worden. Nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung des Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden (hier: Änderung des Einkommensteuerbescheids 2010 aufgrund des Ablaufs der vierjährigen Reinvestitionsfrist). Nach § 174 Abs. 4 S. 3 AO war auch der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, da die steuerlichen Folgen im Streitfall innerhalb eines Jahres nach der Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen wurden. 
     

Beraterhinweis: Da Veräußerungsgewinne unmittelbar beteiligter natürlicher Personen gem. § 7 S. 2 GewStG nicht der Gewerbesteuer unterliegen, drohen in diesen Fällen durch die spätere Auflösung der nach § 6b EStG gebildeten Rücklage keine gewerbesteuerlichen Konsequenzen.
 

Dr. Dr. Norbert Mückl
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
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Sinikka Sproll
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