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Antrag auf Wiedereinsetzung – selbstständige Haftungsfalle

1. Der BFH bestätigt seine restriktive Rechtsprechung zur Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, insbesondere für Revisionsbegründungsfristen (BFH vom 22.9.2023 IX R 29/22). 

2. In der Steuerberatung wird der Berater von Fristen getrieben und geplagt. Sie bestimmen seine Arbeit; sie sitzen ihm im Nacken. Fristen bestimmen den Ablauf der Veranlagungsarbeit und des Steuerstreits. Kein anderer Beraterberuf kennt eine ähnliche Intensität des Fristendrucks. Nicht selten kommt es zur Fristversäumung. Nur im Ausnahmefall erlaubt der Gesetzgeber, die versäumte Handlung nachzuholen: Gemäß § 110 AO und § 56 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. 

3. Zu dem ersten Versäumnis der fristwahrenden Handlung kann sich ein Zweites gesellen: Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird seinerseits nicht ordnungsgemäß gestellt. Dies kann zum einen daran liegen, dass die Voraussetzungen des Kanzleiablaufs den Anforderungen an die Wiedereinsetzung nicht genügen. Dies kann auch darin begründet sein, dass die Antragstellung als solche den strengen Anforderungen des BFH nicht genügt. Das Urteil des BFH vom 22.9.2023 zeigt die restriktive Haltung des BFH zu beiden Gesichtspunkten. 

4. Die erste Hürde ergibt sich aus unterschiedlichen Antragsfristen. Sie beträgt in Verfahren nach der AO, insbesondere bei Einspruchsfristen, einen Monat (§ 110 Abs. 2 AO); hingegen in Verfahren vor den Finanzgerichten und dem BFH nur zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO); jedoch im Fall der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde wiederum einen Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). Die unterschiedlichen Fristen stellen eine eigene „Wiedereinsetzungsfalle“ dar. 

5. Innerhalb der Antragsfrist ist auf jeden Fall die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Satz 3 AO und § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Wird zum Beispiel die Klagefrist versäumt, muss der Wiedereinsetzungsantrag auch die Erhebung der Klage enthalten. Bei einer Revisionsbegründung reicht es nicht, einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist zu stellen (vgl. BFH vom 21.3.1996 X R 100/95, BFH/NV 1996, 694). 

6. Besondere Herausforderung stellt der notwendige Sachvortrag im Rahmen der Begründung des Antrags:

Der Sachvortrag - insbesondere das fehlende Verschulden - ist glaubhaft zu machen (§ 110 Abs. 2 Satz 2 AO). Sofern die Antragsgründe nicht gerichtsbekannt, offenkundig oder aktenkundig sind, müssen sie innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Anschließend sind nur noch Ergänzungen oder Vervollständigungen möglich (herrschende Auffassung vgl. RÄTKE in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 110 Rz. 102; BFH vom 21.1.2017 IX R 19/16, BFH/NV 2017, 885). Die notwendige Glaubhaftmachung ist auch später möglich (vgl. BRANDIS in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 56 FGO Rz. 19 (Nov. 2022). 

Glaubhaftmachung heißt nicht Strengbeweis. Es geht um ein Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeiten. Alle Beweismittel kommen in Frage (eidesstattliche Versicherung, Bestätigung, Bescheinigung, Benennung von Auskunftspersonen und Gutachtern (vgl. BRANDIS in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 110 AO Rz. 75 (Nov. 2022)). Nicht hingegen genügt zum Beispiel die Versicherung des Beraters, eine Frist rechtzeitig bearbeitet zu haben (BFH vom 25.5.2011 XIII R 25/09, BFH/NV 2011, 1289). Im finanzgerichtlichen Verfahren sind nur präsente Mittel zur Glaubhaftmachung zulässig; eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unzulässig (BFH vom 12.11.1995, XIII R 29/85, BFH/NV 1986, 290; vom 8.2.2008 X B 95/07, BFH/NV 2008, 969). 

7. In seinem Urteil vom 22.9.2013 bemängelt der IX. Senat des BFH die erforderliche Glaubhaftmachung. Es sei bereits nicht hinreichend dargelegt, dass es sich bei der für die Fristenkontrolle zuständigen Person um eine erfahrene und zuverlässige Mitarbeiterin gehandelt habe. Es fehlten konkrete Angaben zur Ausbildung der Mitarbeiterin und zu ihrem Erfahrungsstand. Auch seien konkrete Stichproben deren Zuverlässigkeit nicht hinreichend dargelegt. Gleiches gelte für die Maßnahmen zur Fristeneintragung und -kontrolle. Insbesondere sei nicht dargelegt, wie die ordnungsgemäße Erfassung und zutreffende Eintragung der Revisionsbegründungsfrist im elektronischen Kalender zu überprüfen bzw. sicherzustellen gewesen sei. Der BFH monierte auch, dass eine Kopie der Aktenausfertigung des erstinstanzlichen Urteils, auf dem die Mitarbeiterin angeblich die Revisionsbegründungsfrist und die Vorfrist eingetragen habe, zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht vorgelegt wurde. 

8. Nicht überzeugen können die Ausführungen im Besprechungsurteil vom 22.9.2023 zu den angeblichen besonderen Sorgfaltspflichten für Revisionsbegründungsfristen. Nach Auffassung des BFH gehört die Begründungsfrist für eine Revision nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen. Der Prozessbevollmächtigte sei daher bei der Prüfung der Revisionsbegründungsfrist und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Überwachung des Personals zur besonderen Sorgfalt verpflichtet. Er verweist dazu auf eine ständige Rechtsprechung des BFH. 

Zum einen wird dies nicht gelten können, wenn das Beraterbüro auf steuerliche Revisionen spezialisiert ist (vgl. BFH vom 27.3.1984, IV R 47/81, BStBl. II 1984, 446). Zum anderen ist die Revisionsbegründungsfrist selbst - objektiv betrachtet - seit der Änderung des § 120 Abs. 2 FGO durch das 2. FGO-Änderungsgesetz ab dem 1.1.2001 nicht schwierig zu berechnen (vgl. hierzu KAMPS, DStR 2008, 2250; dersl., Fristenbuch für steuerberatende Berufe 2024, Tz. G., 105).

9. Beratungshinweise:

Das Besprechungsurteil des BFH vom 22.9.2023 legt anschaulich in komprimierter Form dar, welche Anforderungen die Rechtsprechung an die Fristenorganisation einerseits und den Antrag auf Wiedereinsetzung andererseits stellt. Ist das Kind durch Versäumung der Frist erst einmal in den Brunnen gefallen, sollte die Rettungsaktion mittels Wiedereinsetzungsantrags gut vorbereitet und begründet werden. Hierzu gehört es auch, aus Praktikabilitätsgründen die Antragsbegründung nicht von der Person abfassen zu lassen, die den Fehler begangen hat (vgl. KAMPS, Fristenbuch für steuerberatende Berufe 2024, Tz. G., 127).
 

Dr. Heinz-Willi Kamps
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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