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Status quo: Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen
Nachdem der Gesetzgeber aufgrund des Urteils des BVerfG vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) die Höhe der Erstattungs- und Nachzahlungszinsen für Zinsläufe ab dem 1.1.2019 von 6 % auf 1,8 % gesenkt hat, steht die Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen aktuell im Fokus höchstrichterlicher Rechtsprechung.
Säumniszuschläge entstehen kraft Gesetzes (§ 240 Abs. 1 AO), wenn eine Steuer nicht fristgerecht entrichtet wird. Nach Ablauf einer sog. Schonfrist von drei Tagen (§ 240 Abs. 2 AO) fallen nach derzeitiger Rechtslage für jeden angefallenen Monat 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags Säumniszuschläge an. Auf ein Jahr gerechnet, beträgt der „Zinssatz“ somit 12 % und liegt damit doppelt so hoch wie die bis zum 31.12.2018 geltende Vollverzinsung.
Aufgrund der hohen wirtschaftlichen Belastung, die durch Säumniszuschläge ausgelöst werden kann und des langjährigen Niedrigzinsumfeldes, das bis vor gut einem Jahr noch Realität war, verwundert es nicht, dass diverse Gerichtsverfahren über die Höhe dieser steuerlichen Nebenleistung angestrengt wurden.
Die Rechtsprechung ist derzeit dynamisch. Es liegen inzwischen verschiedene Entscheidungen des BFH vor, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen:
Positive Beschlüsse in Eilverfahren des V., VII. und VIII. Senats
Bereits in 2021 hat der VII. Senat des BFH im Rahmen von Aussetzungsverfahren ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen angeordneten Höhe der Säumniszuschläge bejaht (BFH vom 26.5.2021 VII B 13/21 (AdV), BFH/NV 2022, 209; vom 31.8.2021 VII B 69/22 (AdV), BFH/NV 2023,165). Dem haben sich der V. und VIII. Senat angeschlossen und die Aussetzung von Säumniszuschlägen, soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind, wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestätigt (BFH vom 23.5.2022 V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030; vom 11.11.2022 B 64/22 (AdV), BFH/NV 2023, 165).
Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit wurden insbesondere in Hinblick auf eine Doppelfunktion der Säumniszuschläge begründet. Demnach kommt den Säumniszuschlägen zu einem eine Druckfunktion zu, die den Steuerpflichtigen zur Zahlung fälliger Steuern bewegen soll. Zum anderen läge aber auch eine Zinsfunktion vor mit der Folge, dass die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe auf die Säumniszuschläge „ausstrahle“. Ein Verstoß gegen unionsrechtliche Grundsätze (Äquivalenz-, ¬Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) wurde hingegen verneint (vgl. ausführlich zu den unionsrechtlichen Fragen, BFH vom 23.5.2021 VII B 69/21 (AdV), DStR 2022, 1548 mit Anm. HEUERMANN).
Negative Beschlüsse des VI. Senats
Der VI. Senat hingegen hat im Rahmen von Eilverfahren keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen und die Aussetzung der Vollziehung von Säumniszuschlägen abgelehnt (vgl. BFH vom 28.10.2022 (VI B 15/22 (AdV), BStBl. II 2023, 12; vom 9.3.2023 (VI B 31/22, BFH/NV 2023, 574). Zur Begründung stellt der VI. Senat insbesondere darauf ab, dass Säumniszuschläge allein der Erzwingung der rechtzeitigen Zahlung und Abgeltung des Verwaltungs(mehr)aufwands dienen. Ein „gedachter“ Zinsanteil in den Säumniszuschlägen sei jedenfalls nicht belastbar zu quantifizieren.
Der II. Senat hat die Frage der Verfassungsmäßigkeit offen gelassen und darauf verwiesen, dass ein für die Aussetzung der Vollziehung erforderliches besonderes Aufhebungsinteresse des Steuerpflichtigen nicht geltend gemacht wurde (BFH vom 20.9.2022 II B 3/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1328).
Eine Vorlage an den Großen Senat des BFH zur Klärung der unterschiedlichen Rechtsaufassung der Senate ist – soweit ersichtlich – noch nicht erfolgt. Hintergrund ist, dass die abweichende Beurteilung von Rechtsfragen in Aussetzungsverfahren, in denen lediglich eine summarische Prüfung erfolgt, nicht zu einer Vorlage gemäß § 11 Abs. 2 FGO verpflichtet (vgl. TELLER in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 11 Rz. 5 mwN).
Erste negative Hauptsacheentscheidung
Dies könnte sich nun ändern, da nun ein BFH-Urteil in einem Hauptsacheverfahren veröffentlicht wurde. Der VII. Senat – der in Beschlüssen ernstliche Zweifel in Eilverfahren bejaht hat – lehnt nunmehr verfassungsrechtliche Bedenken auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau ab (BFH vom 15.11.2022 VII R 55/20, BFH/NV 2023, 583). Ein fester und typisierender Zinsanteil sei der gesetzlichen Regelung über die Säumniszuschläge nicht zu entnehmen, weshalb der Beschluss des BVerfG zur Zinshöhe nicht übertragbar sei.
Beraterhinweis: Der Umstand, dass sich der VII. Senat in einer Hauptsacheentscheidung nun der Auffassung des VI. Senats angeschlossen hat, ist aus Sicht der Steuerpflichtigen zumindest als negative Tendenz zu bewerten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Rechtsauffassung auch in Hauptsacheverfahren der anderen Senate durchsetzt oder doch noch der Große Senat entscheidet.
Gleichwohl kann gerade bei betragsmäßig erheblichen Säumniszuschlägen weiterhin versucht werden, mit Verweis auf die Beschlüsse des V. und VIII. Senats die Aussetzung der Vollziehung zu erlangen und/oder anhängige Rechtsbehelfsverfahren zumindest ruhen zu lassen. Der richtige Weg zur Abwehr von Säumniszuschlägen führt im Steuerstreit regelmäßig über die Beantragung eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 AO, gegen den Einspruch einzulegen ist (vgl. OLGEMÖLLER, Stbg 2019, 264). Der Vorteil bei einem isolierten Streit um Säumniszuschläge ist dabei, dass auf diese keine Aussetzungszinsen nach § 237 AO anfallen und auch keine Säumniszuschläge auf Säumniszuschläge entstehen.