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Rettungsanker für Gewerbeverluste

Unternehmen, die mit einem Gewerbebetrieb Verluste erleiden, können diese grundsätzlich für Zwecke der Gewerbesteuer vortragen und mit Gewinnen in späteren Jahren verrechnen. Die Gewerbeverlustverrechnung wird in der Praxis durch die Vorschrift des § 10a GewStG oftmals beschränkt. Insbesondere bei Umstrukturierungen und Gesellschafterwechsel droht ein vollständiger und finaler Verlust bisher aufgelaufener Gewerbeverluste. Für die Einbringung eines Betriebs von einer Kapitalgesellschaft auf eine Personalgesellschaft hat der BFH mit jüngst veröffentlichtem Urteil vom 1.2.2024 (Az. IV R 26/21) den Übergang von Gewerbeverlusten aus Unternehmer- und Beratersicht erfreulicherweise gestärkt.


Voraussetzung der Unternehmensidentität

Die Gewerbesteuer ist eine Objektsteuer, die allein an dem Bestehen eines bestimmten Steuerobjekts anknüpft und die persönlichen Verhältnisse des Eigentümers unberücksichtigt lässt. Steuerobjekt der Gewerbesteuer ist der Gewerbebetrieb. Hieraus folgt der Grundsatz, dass der im Kürzungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, der im Verlustentstehungsjahr bestanden hat (sog. Unternehmensidentität). Es ist jedoch nach Rechtsform des Unternehmens zu differenzieren. Bei Personengesellschaften ist darauf abzustellen, ob die tatsächlich ausgeübte gewerbliche Tätigkeit iSd. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG unverändert bleibt. Als wesentliche Kriterien zieht insbesondere die Rechtsprechung die Art der Betätigung, den Kunden- und Lieferantenkreis, die Arbeitnehmerschaft, die Geschäftsleitung, die Betriebsstätten sowie die Zusammensetzung des Aktivvermögens heran (vgl. nur BFH vom 24.4.2014 IV R 34/10, BStBl. II 2017, 233). 
Kapitalgesellschaften sind hingegen schon kraft ihrer Rechtsform Gewerbebetriebe (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG). Sämtliche Tätigkeiten gelten stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, so dass die Unternehmensidentität auch bei Änderungen der wirtschaftlichen Betätigung grundsätzlich fortbesteht.

 

Voraussetzung der Unternehmeridentität

Zudem setzt eine Verlustnutzung voraus, dass der Gewerbetreibende, der den Verlustabzug in Anspruch nehmen will, den Gewerbeverlust zuvor in eigener Person erlitten haben muss (sog. Unternehmeridentität).  Bei Personengesellschaften hängt die Unternehmeridentität daher von der Identität der Gesellschafter ab. Scheiden einzelne Gesellschafter einer Personengesellschaft aus, so geht der Gewerbeverlust anteilig unter. Bei Kapitalgesellschaften können – analog zu den Verlusten für körperschaftsteuerliche Zwecke – unmittelbare und mittelbare Anteils- oder Stimmrechtsübertragungen von mehr als 50 % innerhalb von fünf Jahren zu einem vollständigen Untergang des Gewerbeverlusts führen (§ 10a GewStG iVm. § 8c KStG). Identitätswahrende Umwandlungen einer Kapitalgesellschaft lassen hingegen die Unternehmeridentität unberührt.

 

Zweifelsfälle bei Ausgliederungen und Einbringungen

Zweifel bei der Anwendung dieser Grundsätze ergeben sich insbesondere, wenn ganze Unternehmenseinheiten übertragen werden und/oder Rechtsträger verschiedener Rechtsformen bei Umwandlungen beteiligt sind. Von der Rechtsprechung bislang ungeklärt war, ob ein Verlustübergang in Betracht kommt, wenn ein Gewerbebetrieb im Ganzen von einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft übergeht und die Kapitalgesellschaft sich fortan auf die Verwaltung der Mitunternehmerstellung bei der Personengesellschaft beschränkt.

 

Entscheidung des BFH vom 1.2.2024

Dem BFH-Urteil vom 1.2.2024 lag als Sachverhalt eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG zugrunde, an der eine ausländische Kapitalgesellschaft als Mitunternehmer beteiligt ist. Die Kapitalgesellschaft unterhielt eine inländische Betriebsstätte, für die ein vortragsfähiger Gewerbeverlust existierte. Die Kapitalgesellschaft hat die Betriebstätte dann als ganzen Betrieb gemäß § 24 UmwStG in die GmbH & Co. KG eingebracht. Nach der Einbringung beschränkte sich die Tätigkeit der Kapitalgesellschaft auf die Verwaltung ihrer Mitunternehmerstellung bei der GmbH & Co. KG.
Das Finanzamt versagt den Übergang des Gewerbeverlusts auf die GmbH &. Co. KG mit dem Argument, dass keine Unternehmensidentität bestehe. Die Kapitalgesellschaft betreibe auch nach der Einbringung aufgrund der Fiktion des § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG weiterhin einen Gewerbebetrieb. Dieser sei nicht identisch mit dem auf die GmbH & Co. KG übergegangenen Gewerbebetrieb. Sowohl das FG Köln in der ersten Instanz als auch der BFH haben hingegen einen Verlustübergang auf die GmbH & Co. KG bejaht. Der BFH betont, dass allein die steuerliche Rechtsnachfolge nach dem UmwStG nicht als Automatismus zu einem Übergang von Gewerbeverlusten führt. Überträgt aber eine Kapitalgesellschaft ihren gesamten Betrieb auf eine Personengesellschaft, so unterhält die Kapitalgesellschaft nach der Einbringung gewerbesteuerrechtlich keinen (identischen) Gewerbebetrieb mehr. Bei einer solchen „Totalausgliederung“ trete die (rechtliche) Gewerblichkeitsfiktion des § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG hinter die tatsächliche identitätswahrende Fortführung des Unternehmens durch die Mitunternehmerschaft zurück, die sodann den angefallenen Gewerbeverlust nutzen bzw. fortführen kann. Auf Ebene der Kapitalgesellschaft bleibt nach der Einbringung nur noch eine „leere Hülle“ zurück. Der bloßen Verwaltung der Mitunternehmerstellung komme gewerbesteuerrechtlich keine selbständige Bedeutung zu, weshalb es aus Sicht des BFH sachgerecht ist, dass der Gewerbeverlust auf Ebene der Kapitalgesellschaft wegfällt und zusammen mit dem eingebrachten Betrieb als Steuerobjekt auf die Personengesellschaft übergeht.

 

Gestaltungsmöglichkeit für Anlaufverluste einer Kapitalgesellschaft

Bemerkenswert bei dem Verfahren ist, dass die Finanzverwaltung in der mündlichen Verhandlung eine mögliche Gestaltung aufgezeigt hat, die sie durch Einlegung der Revision vermeiden wollte. Die nunmehr vom BFH bestätigte Rechtsauffassung ermöglicht die gewerbesteuerliche Nutzung von Verlusten, die eine Kapitalgesellschaft bereits ab Eintragung ins Handelsregister aus dem Aufbau des operativen Geschäftsbetriebs erleidet, in dem sie den Betrieb anschließend auf eine Personengesellschaft überträgt. Wären die Verluste von Anfang an von der Personengesellschaft erzielt worden, wären diese gewerbesteuerlich nicht zu berücksichtigen, da die Gewerbesteuerpflicht bei Personengesellschaften erst mit Aufnahme der werbenden Tätigkeit beginnt. 

 

Beraterhinweis

Die Entscheidung des BFH ist sowohl dogmatisch als auch aus Rechtsanwendersicht begrüßenswert. Werden defizitäre Betriebe als Ganzes aus einer Kapitalgesellschaft ausgegliedert, kann auf dieser Grundlage nunmehr sichergestellt werden, dass die Umstrukturierung nicht durch den Wegfall der Gewerbeverluste „sanktioniert“ oder faktisch verhindert wird. In Hinblick auf die aufgezeigte Gestaltung zur Nutzung von Anlaufverlusten bleibt zu beobachten, ob die Finanzverwaltung mit einem Nichtanwendungserlass reagiert und auf eine entsprechende Änderung des Gesetzes hinwirken wird. 

Marc Nürnberger
Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
Senior Associate