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"Nur Mord verjährt später" - Kehrtwende im Beitragsstrafrecht?

Traditionell begreift die Rechtsprechung die Beitragshinterziehung gem. § 266 a StGB   bezogen auf die Arbeitnehmeranteile - als echtes Unterlassungsdelikt. Tatbeendigung im Sinne des § 78 a Satz 1 StGB  tritt bei diesem Delikttypus danach erst ein, wenn die Pflicht zum Tätigwerden (vorliegend also die Beitragsentrichtungspflicht) entfällt. Gem. § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in dreißig (!) Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Konsequenz dieser “Anlaufhemmung“ ist die faktische strafrechtliche Unverjährbarkeit der Beitragsvorenthaltung - “Nur Mord verjährt später“ (RITTWEGER, NZA 2016, 338, 339). 

Nunmehr macht sich der 1. Strafsenat des BGH für einen Beurteilungswandel stark: Mit Anfragebeschluss vom 13.11.2019, 1 StR 58/19, NJW-Spezial 2020, 89 (mit Anm. STÜRZL-FRIEDLEIN, juris, PR-StrafR 3/2020 Anm. 3) kündigt der steuerstrafrechtliche Monopolsenat des BGH an, dass er unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung zu entscheiden beabsichtigt, dass bei Taten gem. § 266 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts beginnt und fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob sie an ihrer entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten.

Dem Anfragebeschluss liegt ein klassischer (Schwarzarbeiter-)Fall zugrunde: Dem Angeklagten wird vorgeworfen, als Geschäftsführer einer GmbH im Bausektor in den Jahren 2007 bis 2012 illegal Mitarbeiter beschäftigt und dies durch Abdeckrechnungen verschleiert zu haben. Hierfür wurde er in der Vorinstanz, dem LG Kiel, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der im Rahmen der Revision mit der Sache befasste 1. Strafsenat des BGH erwägt, über den Beschlussantrag des Generalbundesanwalts hinausgehend weitere Teile des Verfahrens wegen Verjährung einzelner Taten einzustellen.

Nach geläuterter Ansicht hält es der 1. Strafsenat des BGH für richtig, die Verjährung auch im Beitragsstrafrecht mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts der Sozialversicherungsbeiträge beginnen zu lassen. Er schließt sich damit der im Schrifttum (Nachweise im Beschluss) nachhaltig vorgebrachten Kritik an. Die Rechtsgutverletzung trete mit Nichtzahlung bei Fälligkeit irreversibel ein und werde durch nachfolgendes Untätigbleiben nicht mehr vertieft. Durch die Aufgabe der Rechtsprechung werde eine “Unwucht im Verjährungssystem“, beseitigt, “paradoxen Konsequenzen“ vorgebeugt und Wertungswidersprüche zum Steuerstrafrecht vermieden.

Der Anfragebeschluss legt den Finger in die Wunde: Völlig zu Recht und überzeugend unternimmt es der 1. Strafsenat, sich von einem prominenten Anachronismus des auch in anderer Hinsicht in unzeitgemäß archaisch-drakonischen Strukturen verhafteten Beitragsrechts zu lösen. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Strafsenate der Rechtsprechungsänderung zustimmen. Argumentativ ist die Hürde für einen Widerspruch hoch gelegt. Es tritt hinzu, dass die kritisierte Rechtsprechung in der Praxis - sei es aus Unkenntnis, sei es in stillschweigend abdingender Konvention – ohnehin nicht “gelebt“ wurde. Uns ist kein Verfahren bekannt, in dem Beitragsansprüche über die für Steuerhinterziehung geltenden Grenzen hinaus sanktioniert wurden.

Dr. Herbert Olgemöller
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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