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Das Güterichterverfahren - Erinnerung an ein fast vergessenes Finanzgerichtsverfahren

Sind Sie als Berater schon einmal mit dem Güterichterverfahren beim Finanzgericht in Berührung gekommen? Wahrscheinlich nicht, eine Verweisung an den Güterichter findet nur in äußerst seltenen Fällen statt. 

In der jährlichen Statistik des Statistischen Bundesamts zur Rechtspflege sind im Bereich der Finanzgerichte für das Jahr 2021 lediglich 19 von 29.744 Verfahren aufgeführt, die unter zwischenzeitlicher Einbeziehung eines Güterichters durchgeführt wurden. Nur in 8 Verfahren legten die Parteien den Streit vollständig bei, in den übrigen 11 Fällen kam es zu einer streitigen Entscheidung. Seit der Einführung des Güterichterverfahrens zum Jahr 2014 sind diese Zahlen der absolute Tiefpunkt für die gütliche Streitbeilegung im finanzgerichtlichen Verfahren. Die Verweisungen an das Güterichterverfahren sinken seit dem Höchststand im Jahr 2017 in absoluten wie auch relativen Zahlen kontinuierlich. (Fachserie 10 - Rechtspflege - Statistisches Bundesamt (destatis.de); zuletzt abgerufen am 28.11.2022)

Was ist das Güterichterverfahren?
Das Güterichterverfahren wurde über einen Verweis auf § 278 Abs. 5 ZPO in § 155 Satz 1 FGO in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführt. Danach kann das Gericht die Parteien für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) verweisen. Der Güterichter kann alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen. In der Praxis wird er das Gespräch mit den Beteiligten aufnehmen und versuchen, in einem Termin eine Einigung zu finden.

Güterichterverfahren im finanzgerichtlichen Prozess
Im Zivilprozess wird eine solche Einigung regelmäßig durch einen Vergleich iSd. § 779 BGB abgewickelt. Ein Vergleich ieS ist allerdings weder im Besteuerungsverfahren noch im finanzgerichtlichen Verfahren gesetzlich vorgesehen. Als Instrument für eine gütliche Einigung im Steuerrecht kommt aber eine Tatsächliche Verständigung in Betracht, so dass sich bei entsprechendem Willen der Beteiligten im Güteverfahren vor dem Finanzgericht – ebenso wie bspw. in der Schlussbesprechung am Ende einer Außenprüfung – Wege zu einer „vergleichsweisen“ Lösung des Falles finden lassen.

Vorteile und Nachteile des Güterichterverfahrens 
Entsprechende Einigungs- und Gesprächssituationen sind aus anderen Situationen im Besteuerungsverfahren bekannt. Der entscheidende Unterschied zu einer Verhandlung beim Finanzamt ist, dass in diesen Stadien die Entscheidungsmacht bei der Finanzbehörde liegt, die sie mit Beginn des finanzgerichtlichen Prozesses aus der Hand gibt. Insofern ist die Situation im Güteverfahren mit einem Erörterungstermin beim Finanzgericht vergleichbar. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied, der Güterichter hat keine Entscheidungsmacht. Er kann nicht streitig entscheiden, sondern muss das Güteverfahren wieder an den eigentlich zuständigen (anderen) Senat des Finanzgerichts abgeben, wenn die Einigungsbemühungen fehlschlagen. Dabei bleibt der Güterichter – zumindest formal – zur Vertraulichkeit verpflichtet, der Inhalt von Einigungsgesprächen wird nicht protokolliert und soll den eigentlich zuständigen Richtern nicht offenbart werden. Das Fehlen der Entscheidungsmacht ist sicher eine Schwäche des Güterichterverfahrens. Es besteht die Gefahr, dass den Parteien der nötige Einigungsdruck fehlt. Andererseits hat die Situation auch gewisse Vorteile. Man kann uU offener kommunizieren und weitreichende Einigungsoptionen vorschlagen, ohne Sorge zu haben, die eigenen Argumente für das streitige Verfahren zu beschädigen. Zudem erreicht man im Güteverfahren eine Beschleunigung, denn ein Gütetermin wird zeitlich früher als ein Erörterungstermin anberaumt.

Der Güterichter hat Fachkenntnis und kann die Gerichts- und Besteuerungsakten einsehen. Er kann rechtliche Einschätzungen abgeben, die einen „Fingerzeig“ für die mögliche Entscheidung des eigentlich zuständigen Senats darstellen. Das Güterichterverfahren ist insoweit ein vorverlagerter Erörterungstermin unter Mitwirkung eines fachlich qualifizierten Vermittlers ohne Entscheidungsmacht, das im Einzelfall durchaus eine Option darstellen kann.

Wir begleiten Sie ins Güterichterverfahren
Die Verweisung an den Güterichter ist eine Ermessensentscheidung des Prozessrichters. Bei geeigneten Sachverhalten bietet es sich an, auf eine Verweisung hinzuwirken, um die überwiegenden Vorteile des Güterichterverfahrens zu nutzen.

Wir beraten Sie gerne bei der Frage, ob ein Güterichterverfahren in Ihrem finanzgerichtlichen Streit erfolgsversprechend ist, und begleiten Sie auf dem Weg dorthin!

Florian Hischer
Rechtsanwalt
Associate
Dr. Martin Wulf
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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