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Alles im Blick

Der BFH hat eine weitere Entscheidung zur Videoverhandlung veröffentlicht und seinen strengen Maßstab an die Anforderungen zur Durchführung einer solchen Verhandlung bestätigt (BFH vom IX B 104/22). Der V. Senat des BFH hatte zuvor bereits ein Urteil des Finanzgerichts Münster mit Verweis auf eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO iVm Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) aufgehoben, weil nicht alle zur Entscheidung berufenen Richter während der Videoverhandlung für die zugeschalteten Beteiligten sichtbar waren (BFH vom 30.6.2023 V B 13/22, DStR 2023, 1600, besprochen im Zehnt – der Steuerblog vom 21.7.2023 von ESTEVES GOMES sowie von WULF DB 2023, Heft 42, M4).
In der aktuellen Entscheidung zeigt sich der IX. Senat des BFH ähnlich streng und hob eine weitere Entscheidung des Finanzgerichts Münster auf – dieses Mal wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG). Was war passiert?

I. Sachverhalt 
Die mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht wurde in der Weise durchgeführt, dass der Geschäftsführer der Klägerin als deren Vertreter persönlich im Gerichtssaal anwesend war und sich der Vertreter des Finanzamts per Video zuschalten ließ. Die räumliche Anordnung im Gerichtssaal war so gestaltet, dass das zugeschaltete Bild aus der Videoübertragung an die Wand hinter dem Geschäftsführer projiziert wurde. Dieser musste sich laufend umdrehen, wenn er die Richterbank bzw. den Vertreter des Finanzamts sehen während der Verhandlung sehen wollte.

II. Entscheidung des BFH
Das Verfahren vor dem FG ging für die Klägerin verloren. Deren Nichtzulassungsbeschwerde hatte dann aber Erfolg. Das Urteil wurde wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) aufgehoben und an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO). Der Verfahrensmangel beruhe darauf, dass der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Bei einer Videoverhandlung nach § 91a FGO müsse jeder Beteiligte zeitgleich die Richterbank und die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können. Nur so werde eine effektive Ausübung der Verfahrensrechte in der mündlichen Verhandlung möglich. Dies sei bei der konkreten Umsetzung der Videokonferenz im Gerichtssaal nicht gewährleistet gewesen.
Fraglich war dann, ob dies nicht bereits in der mündlichen Verhandlung hätte gerügt werden müssen. Der BFH war in diesem Punkt großzügig: Da die Klägerin im Verfahren vor dem FG nicht rechtskundig vertreten war, habe keine Obliegenheit bestanden, die Einschränkung bereits in der mündlichen Verhandlung zur Sprache zu bringen.

III. Beraterhinweis
Die Entscheidung weist zutreffend darauf hin, dass die Videokonferenz durch das Finanzgericht so ausgestaltet werden muss, dass die Beteiligten ihre Verfahrensrechte effektiv wahrnehmen können. Bild und Ton müssen in der Form übertragen werden, dass die Beteiligten vor Ort und an den Bildschirmen der Verhandlung folgen können, ohne „Turnübungen“ veranstalten zu müssen. Wird ein Kläger in der mündlichen Verhandlung allerdings rechtskundig vertreten, so muss der Berater oder die Beraterin einen Verfahrensfehler, der auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs hinausläuft, in der mündlichen Verhandlung rügen. Wer als Berufsträger nicht rügt läuft Gefahr, die Möglichkeit für eine erfolgreiche Anfechtung im Verfahren vor dem BFH zu verlieren.
Sollten Sie Fragen zum steuerlichen Verfahrensrecht haben oder Unterstützung in Steuerstreitverfahren benötigen, stehen Ihnen die Steueranwälte von Streck Mack Schwedhelm gerne zur Seite.

Dr. Martin Wulf
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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